Bern, 10.08.2012

Kinderspital_ZH(qi) Das Zürcher Kinderspital teilte heute Morgen per Kommuniqué mit, dass es nach dem im Vormonat vorläufig verhängten Stopp von Knabenbeschneidungen aus religiösen Gründen nun doch wieder solche durchzuführen gedenkt. Zwar wolle man die Einzelfälle sorgfältiger prüfen und jeweils die Zustimmung der Erziehungsberechtigten nach erfolgter Aufklärung einfordern. Am Moratorium der Knabenbeschneidung wolle man indes nicht länger festhalten.

Breite Diskussion ausgelöst

Der völlig unerwartete Beschneidungsstopp im Juli 2012 hatte in der Deutschschweiz heftige, polarisierende Debatten über den Verlauf der Grenze zwischen Religionsfreiheit und Kindeswohl ausgelöst. A- bis antireligiöse Interessensgruppen liessen mit Beifall nicht auf sich warten und forderten ein generelles Verbot von religiös begründeten Knabenbeschneidungen.

Nicht nur Muslime und Juden, sondern auch der Zürcher Kirchenrat der reformierten Landeskirchen und der Synodalrat der katholischen Körperschaft kritisierten den Entscheid des Zürcher Kinderspitals als „voreilig und unverhältnismässig“. Politiker aus allen Parteien bekräftigten, dass sich eine Einschränkung der Knabenbeschneidung nicht adäquat mit der Wahrung des Kindswohls begründen lasse.

Nicht nach dem Willen des Gesetzgebers

Mitglieder der eidgenössischen Räte verwiesen auf die Debatte um die Genitalverstümmelung bei Mädchen. Dabei wurde unwidersprochen und klar zwischen der Knabenbeschneidung und der weiblichen Genitalverstümmelung unterschieden, wobei expliziter Konsens darüber herrschte, dass erstere vom Verbot nicht betroffen sei.

Auch die Zürcher Staatsanwaltschaft argumentierte vor zwei Tagen mit dem Willen des Gesetzgebers, als bekannt wurde, dass sie nicht auf die Strafanzeige einer Einzelperson einzutreten gedenke, u.a. weil sie sich dem Willen des Gesetzgebers verpflichtet fühle und jener die Knabenbeschneidung klar vom Verbot der Genitalverstümmelung ausgenommen habe.

Minderheitenschutz verlangt ein Recht auf Beschneidung

Die Unverhandelbarkeit der Beschneidung für Angehörige der muslimischen und jüdischen Minderheiten wurde im Laufe der Diskussion klar. Die spürbar zunehmende Aggressivität eines selbstbewussten Freidenkertums schafft neue Probleme. Waren es einst die Träger der religiösen Deutungshoheit, die sich in Toleranz zunächst gegenüber Andersgläubigen, später auch gegenüber Atheisten üben mussten, so verschiebt sich das Gleichgewicht heute schrittweise zugunsten freidenkerischer Kreise. Die Aggressivität jener Kreise lässt leider vermuten, dass man sich der Verantwortung für den gesellschaftlichen Ausgleich noch nicht ganz bewusst ist. Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, das unabdingbare Gebot der Toleranz am Beispiel eines Rechts auf Knabenbeschneidung auch oder gerade gegen das Gefälle der populären Religionsfeindlichkeit durchzusetzen.

 

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