Scheinheiliges Argument: Religionsneutralität der Schule
Scheinheiliges Argument: Religionsneutralität der Schule

Der Islam steht einmal mehr am Pranger. Diesmal geht es nicht um Minarette, sondern um das Kopftuch. In der Debatte hat man bisweilen die externen Kosten der gesellschaftlichen Intoleranz völlig ausser Acht gelassen.

Von Abdel Azziz Qaasim Illi

Die Debatte entzündete sich vor etwas mehr als einer Woche an der Schulgemeinde Au-Heerbrugg in St. Gallen, als voreilig zwei muslimische Schülerinnen wegen ihres Hijabs aus der Regelklasse ausgeschlossen wurden. Nach heftiger Kritik ruderte die Schulleitung zurück. Heerbrugg ist berüchtigt für seine intolerante Haltung gegenüber muslimischen Schülerinnen. Bereits 2010 kam es in eben dieser Schule zu einem ähnlichen Eklat, als die Schulratspräsidentin Helga Klee (FDP) der damals 15-jährigen Jessica di Domenico das Tragen des Hijabs verbot und dadurch die Familie di Domenico zur Abwanderung in einen anderen Kanton drängte, indem Jessica den Unterricht ohne Weiteres besuchen durfte. Der kantonale Erziehungsdirektor Stefan Kölliker (SVP) erliess in der Folge eine Empfehlung zuhanden der Schulen, Kopftücher im Unterricht generell zu verbieten, was die Bad Ragazer Oberstufe kurz darauf bewegte, einer Schülerin das Tragen des Hijabs zu untersagen. Die Schülerin bestand jedoch auf ihr verfassungsmässiges Recht und errang mit Hilfe des Islamischen Zentralrates einen Etappensieg. Die Schulaufsicht Sargans folgte der Ansicht, dass ein Verbot die Religionsfreiheit der Schülerin in unzulässiger Weise einschränke und erklärte es für aufgehoben. Im Kanton St. Gallen will man nun keine vorschnellen Entscheide mehr wagen. Man warte auf den Ausgang eines vergleichbaren Falls aus dem Kanton Thurgau beim Bundesgericht.

Dem Bundesgericht wird der Entscheid indes nicht sonderlich schwer fallen. Die Rechtslage scheint eindeutig. Weder gibt es eine rechtliche Grundlage, noch ein überwiegendes öffentliches Interesse, welches ein Kopftuchverbot für Schülerinnen rechtfertigen würde. Vielmehr garantiert die Bundesverfassung die Religionsfreiheit und dazu gehört nun mal auch das Tragen eines Hijabs in der Schule.

Die Linke hat das Kopftuch längst aufgegeben

Viel zwiespältiger als die rechtlichen Grundlagen erscheint dagegen die gesellschaftliche Debatte. Dabei ist das Kopftuch längst nicht mehr nur eine Projektionsfläche rechtbürgerlicher Fremdenfeindlichkeit. Auch liberale Politikerinnen und die Linke wittern dahinter eine Gefahr für ihre Integrationspolitik bzw. neigen hartnäckig zur Ansicht, dass das Kopftuch ein Zeichen weiblicher Unterwerfung unter den Mann sei. Zwar lehnt die Linke die prohibitive Politik der Rechtsbürgerlichen ab, nicht jedoch weil sie Sympathien für den Islam oder den Hijab pflegen würde, sondern aus parteipolitischen und strategischen Gründen. Einerseits erscheint es in nur ganz seltenen Fällen als opportun, mit der SVP unheilige Allianzen einzugehen, um ein gemeinsames Anliegen z.B. gegen die Mitteparteien durchzubringen. Andererseits befürchtet die Linke bei einem zu rigiden Vorgehen, dass sich die Muslime erst recht auf ihre Religion zurückbesinnen und damit dem eigentlichen Ziel – einer fortschreitenden Säkularisierung aller Gesellschaftsteile – einen Bärendienst erwiesen würde. Im linken Lager setzt man lieber auf eine längerfristige diskursiv angelegte «mission civilisatrice», in deren Verlauf den Mädchen der säkulare Lebensstil durch entsprechende Lehrpläne im schulischen Bereich und durch kulturelle Persuasion in der Freizeit quasi auf dem Schleichweg aufgezwungen wird. Die als einflussreich beschriebene Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP) verdeutlichte diese Strategie im Mai 2010 in einer Diskussionsrunde des «Tagesanzeigers» im Zürcher Kaufleutensaal, als sie erklärte, weshalb es keinen Sinne mache, den islamischen Ganzkörper-Badeanzug im schulischen Schwimmunterricht zu verbieten. Demnach sei das «Burkini» nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur vollen gesellschaftlichen Integration [TA, Die etwas andere Burka-Debatte, ab Zeitmarke 42:15, 26.05.2010].

Von den Schülerinnen zur Kindergärtnerin

Muslime sollten sich dieser für sie politisch ungünstigen Ausgangslage bewusst sein und nicht etwa naiv in linken Kreisen nach Hilfe suchen. Schon gar nicht wenn, es wie im jüngsten Fall einer Schweizer Kindergärtnerin in Kriens um das Tragen des Hijabs bei der Arbeit geht. Wenn vereinzelt noch Verständnis für kopftuchtragende Schülerinnen geäussert wird, dann hört die gesellschaftliche Toleranz spätestens bei der Anstellung einer muslimischen Lehrperson gänzlich auf. Hier scheint völlige Einigkeit zu herrschen, dass das Kopftuch einer noch so gewissenhaften muslimischen Lehrerin dem Anspruch der Religionsneutralität des Staates nicht gerecht werde. Dieser reflexartigen Ablehnung liegt die weit verbreitete Annahme zugrunde, der Hijab sei ein «religiöses Symbol», dessen Funktion die religiöse Markierung der Trägerin sei. Auf dieser Fehlannahme basiert auch der oft und gerne bemühte Vergleich mit dem Kreuz – sei es am Hals getragen oder an die Wand gehängt. Hier liegt ein grundlegendes Missverständnis des islamischen Hijabs vor. Eine Frau, die den Hijab aus religiöser Überzeugung trägt, tut dies nicht, weil sie damit der Umwelt ihre Religionszugehörigkeit kommunizieren möchte, sondern weil es auch dann eine unbestrittene islamische Pflicht bleibt, wenn eine Hand voll moderner Islamkritikerinnen dies gerne aus der Welt diskutiert wissen möchten. Die Pflicht indes besteht nicht gegenüber dem Mann, wie von feministischer Seite her stets vermutet, sondern gegenüber Gott. Einer überzeugten Muslimin das Kopftuch bei der Arbeit zu verbieten heisst, sie vor die Entscheidung zwischen Gehorsam gegenüber Gott oder Aufnahme der Arbeit zu stellen. Glaube oder Arbeit! Dass sich viele Frauen in dieser Situation für den Gehorsam gegenüber Gott entscheiden, liegt auf der Hand. Dabei könnten die Voraussetzungen in der islamischen Normativität für eine fruchtbare Verbindung von Arbeit und Glaube nicht besser sein. So heisst es etwa im Vers 77 der Sure Qasas in ungefährer Übersetzung: «Und suche in dem, was Allah dir gegeben hat, die Wohnstatt des Jenseits; und vergiss deinen Teil an der Welt nicht; und tue Gutes, wie Allah dir Gutes getan hat; und begehre kein Unheil auf Erden; denn Allah liebt die Unheilstifter nicht.»

Islamophobie generiert externe Kosten

Im Zeitalter grassierender gesellschaftlicher Islamophobie, angeheizt durch islamkritisches Gesülze aus den Reihen sogenannt moderner Muslime und feministischer Kulturkampftiraden gepaart mit freidenkerischer Religionsablehnung scheint es zunehmend unmöglich, mit rationalen Argumenten zu operieren. Heute regt man sich über das Kopftuch bei Lehrerinnen auf und behauptet, es kompromittiere die Religionsneutralität der staatlichen Schule. Bei Schülerinnen dagegen sei es ein Integrationshindernis, in der Privatwirtschaft störten sich die Kunden daran und bei der Wohnungssuche heisst es, es störe den gesellschaftlichen Frieden im Quartier. Freilich beteuert man allerseits, eigentlich nichts gegen den Islam oder das Kopftuch zu haben. Selten steht einer so ehrlich und offen zu seiner Islamophbie, wie Nationalrat Lukas Reimann (SVP). Die Gesellschaft sollte sich der entstehenden externen Kosten ihrer Intoleranz bewusst sein. Nicht nur vernichtet man wirtschaftliches und soziales Potential. Muslime, die aufgrund ihrer Ausgrenzung nicht arbeiten dürfen, haben zweifelsfrei auch moralischen wie rechtlichen Anspruch auf staatliche Ausgleichszahlungen, die letztlich wiederum auf die Steuerzahler abgewälzt werden müssen.

Loading

Aktuellste Artikel