Bern, 29.09.2010

Die Solothurner Regierung musste sich an ihrer gestrigen Sitzung mit einem Vorstoss von Christian Werner, Oltner SVP-Kantonsrat, befassen. Dieser fordert nach dem Vorbild rechtsbürgerlicher Kantonsräte in anderen Kantonen die Einreichung einer Standesinitiative, welche auf Bundesebene ein Verbot der Vollverschleierungen verlangt. Mit dieser Forderung stiess der SVP-Politiker in der Regierung auf taube Ohren. Sie empiehlt dem Kantonsparlament den Antrag abzulehnen. Ob das Parlament den Empfehlungen der Regierung folgt, wird sich in der nächsten Session zeigen.

Ein heiss diskutierter Vorstoss

In mehreren Kantonen wurde bereits über das Einreichen einer Standesinitiative mit dem Ziel, die muslimische Verschleierung einzuschränken, debattiert. Im Kanton Aargau haben die Parlamentarier – gegen den Willen der Regierung – einen solchen Antrag gutgeheissen und nach Bern weitergeleitet. (Wir berichteten: Anti-Niqab Standesinitiative kommt im Aargau definitiv zustande.) Die Grossen Räte in Bern und Basel-Stadt hingegen lehnten, ganz im Sinne ihrer Regierungen, eine solche Standesinitiative ab.

Religionsfreiheit muss gewahrt werden

Obwohl es in der Schweiz fast keine Frauen gebe, welche sich vollständig verhüllen, widerspreche eine Vollverschleierung den «abendländischen Rechtsvorstellungen und Traditionen», hält der SVP-Kantonsrat fest. Dabei entgeht dem eifrigen Politiker, dass im Zeitalter der Globalisierung – von welcher die Schweiz durchaus profitiert – auch andere Wertvorstellungen und Ansichten in der heterogenen Gesellschaft auftreten und ihre Daseinsberechtigung haben. Ausserdem beruht die Vollverschleierung von Muslimas nicht auf Tradition oder Kultur, sondern ist ein fester Bestandteil des islamischen Kultus. Dieser ist durch die in der Bundesverfassung verankerte Religions- und Kultusfreiheit geschützt. Die Solothurner Regierung weist ebenfalls in ihrer Stellungsnahme daraufhin, dass der Auftragstext bewusst religionsneutral formuliert wurde, sich aber aufgrund der Argumentation doch deutlich gegen den Islam richte. Deshalb «dürfte damit sowohl die Glaubens- und Gewissensfreiheit als auch das Rechtsgleichheits- und Gleichbehandlungsgebot» verletzt werden. Die Regierung zitiert aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und stellt fest, dass dieser Antrag eine Diskriminierung des Islams und seiner einzelnen Angehörigen darstelle.

Verbot wäre unverhältnismässig

Der Regierungsrat geht mit dem Autor des Auftrages einig, dass eine Vollverschleierung der schweizerischen Tradition widerspreche. «In der Schweiz besteht eine Kultur dafür, dass wir beim Gegenüber das Gesicht erkennen wollen und auch müssen», heisst es in der Stellungnahme. Ein Verschleierungsverbot wird aber von der Regierung als unverhältnismässig erachtet. Bereits heute könne jede Behörde anordnen, dass Dienstleistungen, für die ein persönlicher Kontakt notwendig ist, nur gegenüber unverhüllten Personen erbracht werden. Auch sei jede Behörde befugt, den Zugang zu ihren Gebäuden, die ihrer Aufsicht unterstehen, aus Sicherheitsgründen zu beschränken, hält der Regierungsrat fest. Dies trifft jedoch nur zu, wenn die Person nicht eindeutig identifiziert werden kann. Jede Muslima wird wohl bereit sein, für eine Identifizierung ihren Gesichtsschleier kurz hochzuklappen.

Keine wirkliche Lösung

Ein Verbot sei keine Lösung, betont die Regierung. «Bei unverhüllter Betrachtung erweist sich das Begehren der Standesinitiative als Stellvertreterlösung, welche diffuse Ängste einzelner Bevölkerungskreise gegenüber dem Islam aufnimmt.» Liberale und soziale Werte der Schweiz könnten nicht primär durch Verbote – und schon gar nicht durch Kleidervorschriften – vermittelt werden. Dafür brauche es vielmehr «Bildung, Gleichstellungsprogramme, soziale Integration, Förderung und Prävention, Aufklärung, Sensibilisierung und den Dialog». Den Migrantinnen sollen durch einen Integrationsvertrag die hiesigen Werten näher gebracht werden.

Das sich auch einige Konvertitinnen und gut integrierte Ausländerinnen aus der zweiten Generation aus religiöser Ueberzeugung für die Vollverschleierung entscheiden, wird auch in der Stellungnahme der Regierung ausgeblendet. Schade, denn gerade dieses scheinbare Detail verdeutlicht, dass sich die Diskussion um den Gesichtsschleier nicht auf die Integrationsdebatte reduzieren lässt.

Quelle: Oltner Tagblatt, Regierung will kein Burkaverbot, 29.09.2010

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