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Sunniten und Schiiten im Islam
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04.03.2010

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Sunniten und Schiiten im Islam

Sunniten und Schiiten blicken auf eine wechselhafte, teils schwierige und belastete Geschichte zurück. Der IZR vertritt die Haltung, dass Muslime beider Denominationen lernen müssen, miteinander in Frieden zu leben.

Der Islam kennt ausgehend von seiner sozio-politischen Geschichte zwei grosse, schriftlich etablierte Denominationen. Bekanntlich handelt es sich dabei um die Mehrheit der Sunniten und Minderheit der imamitischen (12er)-Schiiten. Anders als in der christlichen Reformation spalteten sich die Schiiten nicht erst nach einer jahrhundertealten Kirchentradition, sondern bereits in der Frühzeit des Islams vom Hauptstrom, den heutigen Sunniten ab. Der Anlass für die Abspaltung war ausserdem nicht theologischer, sondern rein politischer Natur. Die Anhänger ‘Alis (Arab. Shi’at ‘Ali) glaubten, der Prophet Muhammad (saws) habe seinem Schwiegersohn am Teich von Khomm versprochen, dass er nach seinem Ableben, die Nachfolge als Kalif (Stellvertreter des Propheten) übernehmen dürfe. Dieser Anspruch konnte jedoch im vorherrschenden politischen Milieu nicht glaubhaft nachgewiesen werden. Die angesehensten Prophetengefährten wählten zunächst Abu Bakr. Es folgten ihm ‘Umar b. al-Khattab und ‘Uthman b. ‘Affan bis ‘Ali schliesslich zum vierten Kalifen der Muslime wurde.

Politisches Zerwürfnis mündet in der Katastrophe von Kerbala

Die Anhänger ‘Alis, also die späteren Schiiten, akzeptierten schliesslich die Herrschaft der drei ersten Kalifen nur vordergründig, um sich etwaiger politischer Verfolgung durch das Establishment zu entziehen, bis sich Hussein, ein Sohn ‘Alis, im Jahre 61 n.H. / 680 n.Chr. entgegen den zahlreichen Warnungen ‘Abd Allah b. ‘Umars und anderer dazu hinreissen liess, seinen Machtanspruch gegen den Sohn des soeben verstorbenen Umayyadenkalifen Mu’awiya b. Abi Sufiyan durchzusetzen, indem er sich mit einem Tross in Richtung Damaskus (via Kerbala) in Bewegung setzte. Andere Quellen geben an, dass Hussein aus Mekka losgezogen sei, um den Treueschwur auf den Sohn des verstorbenen Kalifen zu leisten und ganz dem Beispiel seines Bruders Hassan auf politische Ansprüche zu verzichten. In Kufa schnitten ihm jedoch Truppen des irakischen Gouverneurs, ‘Ubaydallah b. Ziyad, den Weg ab. Nach gescheiterten Verhandlungen griffen sie am 10. Muharram 61 n.H. / 680 n.Chr. unter umstrittenen Umständen die Gefährten Husseins an. Hussein fiel dem Blutbad ebenfalls zum Opfer. Dieses aus sunnitischer, wie schiitischer Sicht als Katastrophe beschriebene Massaker wurde zum endgültigen, nunmehr auch theologischen Schisma der Muslime. Im Geheimen führten die Schiiten die Genealogie der aus ihrer Sicht legitimen Kalifen, die sie nunmehr als Imame bezeichneten, fort, wobei die Übertragung der Legitimation von einem zum nächsten Imam jeweils dem dynastischen Prinzip (Arab. Ahl al Bayt d.h. Leute des Hauses (des Propheten saws)) folgte.

Aufbau theologischer Differenz

Die schiitischen Imame galten und gelten ihren Anhängern jedoch anders als die Gelehrten bei den Sunniten nicht nur als Autorität mit theologischem Deutungsanspruch. Vielmehr nehmen ihre Aussprüche die Position einer weiteren Rechtsquelle neben dem Qur’an und der Prophetentradition ein. Dazu kommt, dass die Schiiten, die ihrer Logik nach usurpatorischen Prophetengefährten nicht mehr als glaubwürdige Überlieferer der prophetischen Aussprüche (Arab. Ahadith) akzeptieren. So entfallen dem schiitischen Kanon Tausende solcher Ahadith, die den Sunniten jedoch als authentisch gelten.

Akzent auf Gemeinsamkeiten bei gleichzeitiger Anerkennung theologischer Differenzen

Das Schisma in zwei Denominationen ist folglich eine nicht negierbare, historische Realität. Die Frage ist jedoch, wie wir Muslime damit umgehen. Sind wir fähig, dieses Faktum als ungünstige Entwicklung der politischen Geschichte des Islams hinzunehmen und die Entscheidung über Wahrheit Allah (swt) am Tag des Gerichts überlassen oder treiben uns weiterhin Korrekturabsichten? Wollen wir Differenzen immer wieder aktualisieren, herausstreichen und uns letztlich wie zuletzt im Irak unter dem gegenseitigen Zuruf der Shahada (Arab. Glaubensbekenntnis) blutig bekämpfen?

Der Islamische Zentralrat (IZR) bezieht in dieser Frage eine klare Haltung. Unter Anerkennung der theologisch teils starken Differenz möchten wir uns auf die Betonung der Gemeinsamkeiten konzentrieren. Die Liste ist wahrhaftig lang. Hier die wichtigsten Punkte: Monotheismus, Qur’an, Prophet, zahlreiche Ahadith, gemeinsames kollektives Erinnern an die Kreuzzüge, Mongolenstürme und Hungerkrisen.

Auf der zwischenmenschlichen Ebene kann also keinesfalls von unüberbrückbaren Differenzen die Rede sein. Geht es nun um die Frage der Repräsentation auf institutionell-normativer Ebene, so muss pragmatischerweise darauf hingewiesen werden, dass jede Denomination seine durchaus nicht deckungsgleiche Normativität separat vertreten sollte. Es ist wohl eine unumstrittene Tatsache, dass sich praktizierende Protestanten eher nicht von einem Katholiken in Fragen, deren Antworten sich aus der Theologie ableiten, vertreten lassen möchten und umgekehrt.

Der Islamische Zentralrat (IZR) respektiert die schiitischen Eigenheiten in der Theologie dahingehend, dass er sich nicht anmassen wird, ihnen ein sunnitisch-normatives Programm quasi als das Islamische par excellence durch einen erweiterten Repräsentationsanspruch aufzuzwingen. Dies schliesst keinesfalls aus, dass Schiiten, die sich aufgrund unserer Strukturen und Organisation programmatisch angesprochen fühlen, dem IZR beitreten oder dass mit einem Repräsentanten der Schiiten in gesellschafts-politischen Fragen eng zusammengearbeitet wird.

Stand: 15.2.2025

 


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