Eine klassische Koran-Ausbildung ist nicht geplant
Eine klassische Koran-Ausbildung ist nicht geplant

Das Islam-Zentrum in Fribourg bewegt die Gemüter und stösst etwa bei der SVP auf politische Opposition. Sie befürchtet die Entstehung einer Koranschule. Die Befürworter positionieren es als «Bollwerk gegen Fundamentalismus». Beide Argumente versagen in der Praxis, dienen jedoch dem bevorstehende politischen Kampf.

(qi) Der Diskurs um den Themenkomplex der öffentlich-rechtlichen Anerkennung und das Islam-Zentrum wird von der politischen Mitte und einer Hand voll ambitionierter muslimischer Verbandsfunktionären derzeit auffällig aggressiv bewirtschaftet. Um es der opponierenden SVP schmackhaft zu machen, wird das Projekt als «Bollwerk gegen Fundamentalismus» angepriesen. Man tut nun so, als ob beim Islam ganz besonders Handlungsbedarf bestünde, um einer «Radikalisierung» im Idealfall durch eine staatliche Qualitätskontrolle bei der Lehre entgegenzuwirken.

Wenn man schon dem Islam eine spezielle Neigung zu «Radikalismus» zuerkennt, muss man die Wirksamkeit eines solchen «Bollwerks gegen Fundamentalismus» an vergleichbaren islamischen Projekten im Ausland messen und nicht am Modell der christlich-reformierten Landeskirchen. Tatsächlich gibt es fast in der ganzen islamischen Welt eine starke Tendenz zur staatlichen Regulierung des Religiösen, allerdings mit fragwürdigem Erfolg.

Verlagerung in den informellen Bereich

In Ägypten kontrolliert das Waqf-Ministerium die Lehre an der Al-Azhar Universität. Seit Gamal ‚Abd an-Nasr geschieht dies mit einem mal mehr, mal weniger streng utilitaristischen Unterton. Die islamische Lehre soll im Dienste des Staatsapparats stehen. Das Amt des Mufti setzt eine theologische Laufbahn und viele treue Dienstjahre im Überbau der Al-Azhar voraus.

Dass der eher westlich-säkular ausgerichtete ägyptische Staat kein Interesse an «radikalen» Tendenzen hat und sie auch nach Kräften seit jeher zwar zunehmend erfolgsloser abzuwürgen versucht, muss nicht erklärt werden. Vor diesem Hintergrund wird auch der staatliche Azhar-Islam gelehrt. Doch mit welchem Erfolg? Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser staatlichen Regulierungswut hat sich die islamische Wissensaneignung längst in den informellen Bereich verschoben. Die Nähe der einst hochgeschätzten islamischen Institution zu einem alles andere als islamischen Staat hat dem Ruf des Überbaus stark geschadet. Die meisten Studenten nutzen die Einrichtung heute dazu, um an ihr Diplom heranzukommen. Die Lehre hingegen gilt ihnen als zu weit von der islamischen Normativität entfernt, weshalb sie sich selbstständig oder im Rahmen von studentischen Zirkeln weiterbilden.

Damit hat der Staat letztlich nichts gewonnen. Seine religiösen Funktionsträger gelten weitherum als «Shuyukh as-Salatin» (arab. Scheiche der Sultane), sprich als Marionetten der Herrschenden. So wenden sich die breiten Massen lieber einem Prediger zu, der ihrem Dafürhalten nach unabhängiger, sprich authentischer ist. Die beliebten TV-Prediger in der arabischen Welt fallen aber nach Schweizer Massstäben allesamt in die Kategorie «fundamentalistisch», weil sie in der Regel einen stark moralisierenden Appell an die aus ihrer Sicht zu weit von der islamischen Norm abgedrifteten Gesellschaft richten. Einigen von ihnen wurde auch schon die Einreise in die Schweiz verweigert. Was in Ägypten gerne gehört wird und zuweilen auch mit dem politischen Programm des Machtzentrums konvergiert, würde in der Schweiz aber auf scharfe Kritik stossen. Wertekonservative Positionen erträgt die säkularisierte Schweizer Gesellschaft auch bei den Katholiken oder Freikirchlern bekanntlich nicht besonders gut.

Entproblematisierung des «Fundamentalismus»

Daran wird auch eine staatliche Einflussnahme auf die islamische Lehre im Inland nichts ändern können. Wenn es ihr überhaupt gelingen soll, Glaubwürdigkeit bei den Gläubigen zu erlangen, dann nur unter der Bedingung, dass sie unabhängig und frei ist. Frei heisst aber auch frei für akademische Positionen, die der Gesellschaft nicht in den Kram passen. Ob die Rechnung mit dem «Bollwerk gegen Fundamentalismus» überhaupt zu Ende gedacht ist, muss bezweifelt werden, es sei denn, man kehrt die intendierte Wirkungsrichtung um und versucht Positionen, die derzeit als «fundamentalistisch» wahrgenommen werden, im Zuge eines gesellschaftlichen Diskurses zu normalisieren. Vielleicht vermag das Wirken des Islam-Zentrums so die gesellschaftliche Wahrnehmung des «Fundamentalistischen» dereinst dahingehend verändern, dass sich daran niemand mehr stört. Auf jeden Fall klingt das mit dem «Bollwerk» politisch wohl in den Ohren vieler verunsicherter Bürger und das ist auch gut so.

«Fundamentalisten» brauchen sich übrigens vor einem Zusatzangebot an Lehre nicht zu fürchten. Das Beispiel der jüngeren türkischen Geschichte hat gezeigt, dass trotz völliger Zwangssäkularisierung des Staats bei bleibender strenger Regulierung der religiösen Lehre eine gesellschaftliche Zurückwendung zum Islam nicht zu verhindern war. Gleiches gilt mit Blick auf die aktuellen Zustände in der islamischen Welt auch für «Radikale». Sie begründen ihre Haltung fast immer politisch und allenfalls sekundär religiös. Da auch eine kritische Auseinandersetzung etwa das Kriegsrecht nicht aus den islamischen Quellen zu tilgen vermag, wird es in Zukunft nicht weniger Akteure geben, die ihr Handeln sekundär damit zu begründen verstehen. Wer das «Radikale» verstehen will, muss bereit sein, sich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kontext zu stellen, auf dessen Nährboden es erst gedeiht.

Nicht nur der Islam unterscheidet sich strukturell fundamental vom Christentum, sondern auch die islamische Welt und ihre Kulturgeschichte. Sie stehen in einem ganz eigentümlichen Verhältnis zu den zwei regulierenden Grundstrukturen menschlichen Zusammenlebens Staat und Gesellschaft. Ein universitäres Zentrum, welches sich über diese Verhältnisse im Kontext der Schweiz akademisch Gedanken macht, kann auch jenseits der tagespolitisch aktuellen Fragen wie «Fundamentalismus» oder «Radikalismus» niemandem schaden, der grundsätzlich bereit ist, dem Islam über kurz oder lang einen Platz in der Schweiz zuzugestehen. Denn darum geht es letztlich in dieser Diskussion.

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