Im November 2016 verbot das indische Ministerium für Home Affairs eine der weltgrössten islamischen Stiftungen, die Islamic Research Foundation (IRF), unter fadenscheiniger Begründung. An Zufälle glaubt kaum einer. Die jüngsten Entwicklungen im multireligiösen Land sind Spiegelbild einer zunehmenden Polarisierung zwischen Hindus und Muslimen.

(qi) Als 2014 die Hindu-Nationalisten um Narendra Modi die indischen Wahlen gewannen, war klar, dass es für die muslimische Minderheit nicht einfach werden dürfte. Modi selbst galt schon vor den Wahlen als umstrittene Figur. Er war Chief Minister im Bundesstaat Gujarat, als Ende Februar 2002 bei mutmasslich orchestrierter Massengewalt gegen Muslime über 1000 Menschen umkamen. Zwar wurde er selbst später von einer Untersuchungskommission entlastet, Beobachter und Menschenrechtsgruppen sprechen jedoch bis heute der Regierung eine Mitverantwortung zu. Darüber hinaus richtet sich Modis Parteiprogramm klar an die hinduistische Bevölkerung Indiens. Muslime spielen in Modis Indien „Indien den Hindus“ bestenfalls eine Nebenrolle.

Bestenfalls – denn im vergangenen März zeigte der Regierungschef deutlich in welche Richtung es in seinem Indien gehen soll, als er den ausgesprochenen Islamophoben Yogi Adityanath zum Chief Minister des Bundesstaats Uttar Pradesh ernannte. Jener versprach 2015, dass er bei erster Gelegenheit die drei hinduistischen Gottheiten Gauri, Ganesh und Nandi in jeder Moschee installieren wolle – eine gefährliche Provokation.

Da erstaunt es nur auf den ersten Blick, dass Indien seit November letztes Jahres den aktiven Schlagabtausch mit dem wohl prominentesten Muslim im Land sucht. Sieht man genau hin, erkennt man auf dem politischen Bedürfnisbarometer der letzten Jahre einen klaren Rutsch hin zum Hindu-Nationalismus. Religionswissenschaftler erklären das Phänomen als untypisch für den Hinduismus, sei doch gerade diese Religion durchwegs durch polytheistische und multikulturelle Vieldeutigkeit geprägt. Allerdings würden sich immer mehr Inder nach einem stärker durch den Hinduismus geprägten Staat sehnen.

Die tieferen Gründe könnten mit der Geschichte des Landes verbunden sein. Indien erlebte nach seiner Entlassung in die Unabhängigkeit 1947 wie auch die meisten arabischen Postkolonien zuerst eine starke Säkularisierung nach westlichem Vorbild. Diese wurde durch den ersten Langzeitministerpräsidenten Jawaharlal Nehru entschieden geprägt. Im heutigen Indien erfreut sich der Hinduismus einer Wiederentdeckung – nicht unähnlich dem Islam in der muslimischen Welt seit den 1970er Jahren.

Hinter dem Verbot Zakir Naiks IRF dürfte sich also politisches Kalkül verbergen. Erst im März bestätigte zwar der oberste Gerichtshof von Dehli das fünfjährige Verbot der IRF. Die Regierung argumentiert mit einem dringenden öffentlichen Interesse zum „Schutz der inneren Sicherheit“. Unabhängige Juristen beurteilen die Beweislage dagegen als hauchdünn. So wirft das Home Affairs Ministerium Naik und der IRF vor, durch ihre Reden und Auftritte zur „Radikalisierung der Jugend“ beizutragen. Konkret habe einer der Attentäter eines Terrorangriffs auf ein Café in Dhaka (Bangladesch) letzten Juli auf Facebook Beiträge Naiks geteilt – nicht sonderlich verwunderlich, bedenkt man die enorme Reichweite der IRF-Reden in Asien. Naik seinerseits hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder von Terrorismus und insbesondere auch vom IS deutlich distanziert.

Obwohl nach Einschätzungen der „Hindustan Times“ die Anklagebehörde bisher auf allen Ebenen keine sachdienlichen Beweise vorzulegen vermochte, erliess sie letzten Donnerstag eine sogenannte „Red Notice“ über das Interpol System. Dieser Eintrag entspricht einem internationalen Haftbefehl. Alle Mitgliedstaaten sind gebeten, Naik festzunehmen und ihn an die indischen Behörden auszuliefern. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, Interpol-Notizen im Einzelfall umzusetzen. Naik hat aufgrund der Beweisschwäche im Verfahren beste Chancen, nicht an Indien ausgeliefert zu werden. Kommt dazu, dass die politische Natur des indischen Angriffs auf die weltweit tätige und unter Muslimen sehr beliebte IRF zu offenkundig ist. Naiks Predigten sind so erfolgreich, dass bereits Tausende von Hindus sich für einen Übertritt zum Islam entschieden haben. Soziologen weisen indes zwar darauf hin, dass nicht nur Naiks Botschaft für die massenhaften Konversionen in Indien verantwortlich seien. Die Probleme des Hinduismus seien auch hausgemacht. So würden viele der Konvertiten aus der untersten Kaste stammen, einer in Indien bis heute hierarchisch stark untergeordneten und isolierten sozialen Schicht, deren Mitglieder innerhalb des hinduistisch geprägten Gesellschaftssystems kaum Aufstiegschancen haben – jedoch durch die Konversion den beengenden sozialen Konventionen entfliehen könnten.

Weltweiter Druck

Noch vor wenigen Jahren hätte niemand erwartet, dass der prominente TV-Prediger einst mit Terrorvorwürfen überhäuft werden könnte. Sein TV-Sender trägt den Namen „Peace-TV“ und ist nie durch aggressive Rhetorik aufgefallen. Auch hielt sich Naik wohlweislich aus politischen Debatten heraus und konzentrierte sich auf einen persuasiven Diskurs mit dem Ziel, Hindus vom Islam zu überzeugen.

Dennoch reiht sich sein Fall in eine Serie von staatlichen Angriffen auf Projekte erfolgreicher islamischer Aktivisten ein. Das Vorgehen ist oft ähnlich. Ein zunächst unbewiesener, diffuser Vorwurf wie jener der „Radikalisierung“ setzt die meist populären Akteure in einem ohnehin schon von zunehmender Intoleranz geprägten Umfeld permanentem öffentlichem Druck aus. Die Behörden können bei der Verbreitung solcher Vorwürfe eine Rolle spielen oder sich dann einfach zu einem späteren Zeitpunkt „genötigt fühlen“, Massnahmen zu ergreifen. Jene zeichnen sich letztlich in fast allen Fällen als juristisch schwach oder unbegründet aus und müssen im Zuge des Verfahrens wieder rückgängig gemacht werden. In der Zwischenzeit sind die Akteure in ihren Freiheiten und Grundrechten aber teils massiv eingeschränkt.

Ob die Rechnung letztlich aufgeht ist fraglich. In Diktaturen mag die Diffamierung kritischer NGO‘s auf Dauer dem Machterhalt der herrschenden Eliten dienen. In demokratischen Staaten und dazu gehört auch Indien, kann repressives Vorgehen gegen unliebsame Meinungsträger kein Erfolgsmodell sein. Die freie Meinungsäusserung, das Recht seinen Glauben offen und frei zu propagieren sind mindestens so sehr Kernbestand der demokratischen Ordnung, wie freie Wahlen oder die freie Marktwirtschaft. Werden Grundrechte selektiv eingeschränkt, findet unter den Betroffenen früher oder später eine Entfremdung von der Gesellschaft statt, womit der einstige Vorwurf in eine eigentliche Frage nach der Kausalität mündet: Wer radikalisiert wen?

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Veröffentlicht am: 15. Mai 2017
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