11.02.2016
| Von | @qaasimilli folgen |
Aktuelle Lage in Nordaleppo, 10.02.2016. Quelle via Twitter: @PetoLucem
Verschiedene Rebellengruppen im nördlichen Aleppo klagen übereinstimmend über mangelnde Unterstützung ihrer westlichen Partner. Einige reden bereits von Verrat. Der Westen habe sie samt der syrischen Revolution fallengelassen und überlasse nun Russland das Feld, um die Rebellion gegen das Asad Regime niederzuschlagen.
In der Tat verhält sich der Westen und seine Alliierten, die bisher klar auf der Seite der Opposition Stellung bezogen hatten, seit dem Beginn der jüngsten Offensive in Nordaleppo merkwürdig zurückhaltend. Als im Oktober 2015 die Russen ihre ersten Luftangriffe in Idlib flogen, reagierte Saudi-Arabien stellvertretend für die USA mit einer sofortigen Grosslieferung von TOW-Systemen und Munition an die Rebellen. Jetzt, wo viel mehr auf dem Spiel steht, passiert auf taktischer Ebene nichts mehr. Keine Waffenlieferungen, kein substantieller diplomatischer Druck auf Russland, einzig ein paar rhetorische Floskeln aus Riad und Ankara müssen den Rebellen genügen, um die Hoffnung nicht vollends zu verlieren. Dabei redet die Regierung Erdogan seit über einem Jahr von Plänen einer unmittelbar bevorstehenden Intervention zur Sicherung der nördlichen Grenzzone, mit dem Ziel eine weitere Ausbreitung des syrischen PKK-Ablegers YPG abzuwenden und um den IS in Richtung Osten zurückzudrängen. Doch eilig scheint es der starke Mann am Bosporus auch jetzt nicht zu haben, wo ein kompletter Zusammenbruch der nördlichen Rebellenfront droht.
Die momentan verzweifelte Lage derjenigen Rebellen, die auf die Hilfe des Westens und der Türkei gesetzt hatten, kommt für die meisten Beobachter der syrischen Revolution nun doch überraschend. Dass der Westen und seine Alliierten nicht aus Goodwill, sondern nur entlang ihrer geopolitischen Interessen Rebellengruppen unterstützen, ist allen Beteiligten wohl von Anfang an klar gewesen. Dass sich die Abwägung der Interessen jedoch so rasch verändern würde, war nicht abzusehen. Insofern scheint es zu einfach, den Rebellen Naivität vorzuwerfen. Andererseits gibt es seit geraumer Zeit genügend Indikatoren dafür, dass dem Westen die Lust an den arabischen – sprich islamischen Aufständen vergangen ist. Die von aussen kaum mehr kontrollierbare Eigendynamik in Syrien hat den Westen spätestens mit dem Erstarken des IS auf- wenn nicht eher abgeschreckt. Die jüngsten Anschläge in Europa in Verbindung mit den unkontrollierbaren Flüchtlingsströmen haben wohl die Erkenntnis reifen lassen, dass man mit Asad in der Vergangenheit einen vergleichsweise einfachen Garanten für Stabilität in der Region hatte.
Freilich wäre es eine Schmach für Obama, Hollande und Co., die lauthals die Absetzung Asads gefordert hatten, nun eine offenkundige Kehrtwende zu vollziehen. Insofern kommt ihnen die russisch-iranische Intervention gar nicht so ungelegen, wie es ihre Berufsdiplomaten der Weltöffentlichkeit vorspielen. Vermutlich hat man sich mittlerweile damit abgefunden, die Hegemonie über Syrien im Austausch gegen Stabilität an den Kremel abzutreten. Darauf deuten auch Äusserungen und Gesten im Zuge eines wenig beachteten Besuchs des bahrainischen Monarchen bei Vladimir Putin vergangenen Montag hin, wobei ihm der Monarch ein «Siegesschwert» aus Damaskusstahl überreichte, während sein Aussenminister nachdrücklich internationale Unterstützung Russlands in Syrien forderte, um die Region zu stabilisieren. Eine solche Kehrtwende von Seiten eines Monarchen, der ohne die explizite Einwilligung aus Riad keinen Spaziergang im Park seines Palastes wagt, kann für die syrische Opposition nichts Gutes verheissen.
Die Lage in Nordsyrien erinnert in tragischer Weise an die Geschehnisse in Kairo im Sommer 2013 als General Abdel Fattâh as-Sîsî den ersten frei gewählten Präsidenten aus der islamischen Bewegung mit kräftiger finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien stürzte, während der Westen stillschweigend zuschaute. Ähnlich wie die Rebellen in Nordaleppo hatte auch die Muslimbruderschaft vergebens darauf gehofft, der Westen würde ihre deklarierte Treue zum demokratischen System honorieren und einer allfälligen inneren Bedrohungen durch die Armee adäquaten diplomatischen Druck entgegensetzen.
Noch ist es zu früh, die weiterhin fluide Lage in Syrien mit der gescheiterten Revolte in Ägypten zu vergleichen – und die Hoffnung ist intakt, dass uns dies auch in Zukunft erspart bleiben wird. Doch die Gefahr für Aleppo ist imminent. Kommt es auf taktischer Ebene nicht sehr rasch zu einem Ausgleich zugunsten der Rebellen, könnten Tel Rif'at und 'Az'âz noch diese Woche dem Regime bzw. der YPG in die Hände fallen und dann wäre der Nordkorridor definitiv verloren und eine baldige Regime-Offensive gegen Aleppo wohl die Folge.

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