23.06.2025
Das Zupfen der Augenbrauenhaare (an-naṁṣ) wird in einem berühmten ḥadīṯ erwähnt. ʿAbdullāh b. Masʿūd berichtet:
„Allāh hat die Tätowiererinnen und die, die sich tätowieren lassen, diejenigen, die (Gesichts‐)Haare entfernen, und die, an denen sie entfernt werden, sowie die (Zähne)feilerinnen für Schönheit – alle, die Allāhs Schöpfung verändern – verflucht.“
(Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Nr. 5931; Muslim, Nr. 2125)
Dieser authentische Bericht bildet die Grundlage für die traditionelle Untersagung des Augenbrauenzupfens. Der Begriff an-nāmiṣa bezeichnet dabei die Frau, die sich Gesichtshaare – insbesondere die Brauen – aus Schönheitsgründen entfernen lässt.
Doch die Anwendung dieses Hadīṯ bedarf einer kontextuellen Klärung: In der vorislamischen arabischen Gesellschaft war das vollständige Entfernen der Augenbrauen – oft verbunden mit Nachzeichnung durch Schminke – ein bekanntes Erkennungszeichen von Prostituierten oder Frauen mit demonstrativ-eitler Erscheinung. Ibn al-Ǧawzī (gest. 597/1201) verweist explizit darauf, dass das Verbot „auf Frauen der Zīna (Unzucht) in der ǧāhilīya“ ziele, deren äußeres Auftreten „ein rituelles Signal war“ (Aḥkām an-Nisāʾ, S. 168). Ebenso betont al-Qurṭubī in seinem tafsīr zu Q 4:119, dass der Vers und ähnliche Warnungen sich auf „Zeichen sittenloser Frauen“ beziehen – und nicht auf pflegliche Maßnahmen aus legitimer Absicht.
Die vier madhāhib und ihre differenzierten Urteile:
Ḥanafīya
Die ḥanafītische Schule erlaubt das Zupfen unter Bedingungen: wenn es innerhalb der Ehe geschieht, ohne zur Schau gestellt zu werden. Ibn ʿĀbidīn erklärt in Radd al-Muḥtār (Bd. 6, S. 373), das Verbot gelte v. a. für Frauen, „die es tun, um Fremden zu gefallen“. Eine Frau, die sich pflegt, um dem Ehemann zu gefallen oder entstellende Haare zu entfernen, handelt nicht verbotswürdig.
Mālikīya
In malikitischer Sicht ist das Entfernen von Brauenhaar grundsätzlich erlaubt – mit Einschränkung in Zeiten wie der Trauer-ʿidda. In Hāšiyat al-ʿAdawī (1/491) heißt es, dass ʿĀʾiša (raḍiyallāhu ʿanhā) ausdrücklich Frauen riet, sich kosmetisch zu pflegen: „Beseitige das Übel von dir.“ Auch in Tāj al-Iklīl (3/405) wird diese Haltung bekräftigt.
Šāfiʿīya
Obwohl an-Nawawī Zupfen strikt verbot, erlaubt al-Ḥāwī al-Kabīr (Bd. 2, S. 409) das Entfernen, „wenn eine verheiratete Frau sich für ihren Mann schmückt“. Der Autor nennt sogar ein Gegenbeispiel: Frauen, die sich bewusst nicht pflegen, obwohl es ihrem Mann missfällt, verletzen damit die Pflicht zur ehelichen Zierde.
Ḥanbalīya
Hier wird zwischen Zupfen (naṁṣ) und anderen Methoden unterschieden. Ibn Qudāma (al-Mughnī, Bd. 1, S. 85) erklärt, nur das Wurzel-Ausreißen sei gemeint. Ibn al-Ǧawzī wiederum erlaubte Zupfen, wenn keine Täuschung vorliegt und es aus angemessener Motivation geschieht. Auch al-Ġunyā li-ṭālibī ṭarīq al-ḥaqq erwähnt die Erlaubnis des Zupfens auf Wunsch des Ehemannes.
Moderne Bewertungen
Fatwā-Stellen wie die ägyptische Dār al-Iftāʾ erlauben heute ausdrücklich das vorsichtige Formen der Augenbrauen (z. B. Entfernen vereinzelter, unästhetischer Härchen). Sie argumentieren, dass dies noch kein namṣ im Sinne des ḥadīṯ darstellt. Auch der Europäische Fatwa-Rat (ECFR) bestätigt: Kosmetische Korrekturen im natürlichen Rahmen und innerhalb der Ehe sind zulässig, solange keine Täuschung oder Imitation sittenloser Praktiken vorliegt.
Fazit:
Das Verbot des Augenbrauenzupfens in den ḥadīṯen bezieht sich auf exzessive, demonstrativ-sexuelle Modifikation im Stil vorislamischer Prostituierter – nicht auf dezente Pflege oder Zierde in der Ehe. Ein maßvolles Korrigieren oder Säubern der Brauen, etwa bei Monobraue, starker Wucherung oder zur Freude des Ehemannes, wird von vielen Gelehrten als zulässig gewertet. Die entscheidenden Kriterien sind:
Islamische Norm ist den meisten Fällen differenziert, nicht pauschalierend – und die Intention (niyya) entscheidet, ob ein Eingriff erlaubt oder verwerflich ist.
Belege (Auswahl):
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