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Moscheen als Aktiengesellschaften!
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23.12.2025

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Moscheen als Aktiengesellschaften!

Warum soll ich mein Geld an eine Moschee spenden, wenn ich danach kein Mitspracherecht habe? Ein Plädoyer für ein Ende von spendenbasierten Moscheebauprojekten und weswegen ein aktienbasiertes Modell eine ernsthafte Alternative darstellt. 

Von Abdel Azziz Qaasim Illi 

In Europa – insbesondere in der Schweiz und in Deutschland – ist der Bau von Moscheen traditionell an ein bestimmtes Organisationsmodell geknüpft: Vereine oder Stiftungen rufen Muslime dazu auf, Gelder zu spenden, um ein Gebäude zu erwerben oder zu errichten, das anschliessend als Moschee genutzt werden soll. Dieses Modell wirkt auf den ersten Blick vertraut, religiös legitimiert und moralisch unangreifbar. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass es strukturelle Schwächen aufweist, die nicht nur regelmässig zu Konflikten führen, sondern die langfristige Beständigkeit und Gemeinwohlorientierung solcher Moscheeprojekte ernsthaft in Frage stellen.

Oftmals sind es ethnisch-nationale Organisationen, wie etwa der bosnische Dzemat oder albanische Vereine, die grenzübergreifend innerhalb der eigenen peer group um Spenden weibeln, um eine neue Moschee aufzubauen. Diese Organisationen haben immerhin eine relativ gut nachvollziehbare Geschichte und man weiss in vielen Fällen, wie sie funktionieren bzw. wer die Fäden zieht. 

Es gibt aber in jüngster Zeit vermehrt Projekte, die nicht vor einem ethnisch-nationalen Hintergrund stehen und mangels nachvollziehbarer Geschichte durchaus weniger Rückschlüssen auf die ideologische Ausrichtung der Funktionäre möglich sind. Diese sind weniger gut vernetzt als ihre ethnisch-national organisierten Geschwister, was die Spendensammlung erschwert. Ein aktuelles Beispiel aus Bern zeigt, wie harzig das Sammeln von Spenden in der Praxis sein kann. Bis März 2026 sollen 1.8 Millionen Franken zusammenkommen. Bisher sind gerade mal 78’000.- eingegangen. 

Einerseits fehlt es am Wagemut der Gläubigen, ihr Geld einer weitestgehend unbekannten und wenig transparenten Organisation anzuvertrauen. Andererseits fragen sich potentielle Spender zu Recht: Wer garantiert eigentlich, dass das Projekt zustande kommt und es die Interessen der Allgemeinheit der Muslime langfristig adäquat repräsentiert? Ist es nicht zu oft zu Situationen gekommen, wo eine gute Absicht in einer Misere endet?

Das Problem liegt dabei weniger in den guten Absichten der Beteiligten als vielmehr in der Diskrepanz zwischen einem vormodernen religiösen Ideal – insbesondere dem Waqf-Konzept – und der realen rechtlichen, politischen und sozialen Ordnung in den europäischen Ländern. 

Der Verlust des Waqf-Kontextes

Historisch war die Moschee in der islamischen Welt meist Teil eines Waqf-Systems: ein rechtlich geschütztes, unveräusserliches Stiftungsgut, beaufsichtigt durch eine religiös-rechtliche Instanz (Qāḍī), eingebettet in eine islamische Rechtsordnung, die Zweckbindung und Kontinuität garantierte. Der Waqf war kein blosses moralisches Versprechen, sondern ein institutionell abgesichertes System.

Dieser Kontext existiert in Europa nicht. Es gibt keine Qāḍī-Aufsicht, kein islamisches Sachenrecht, keine religiös legitimierte staatliche Schutzfunktion. Stattdessen bewegen sich Moscheeprojekte vollständig innerhalb säkularer Vereins-, Stiftungs- und Strafrechtsordnungen. Vereine können verboten, Stiftungen aufgelöst, Vermögen eingezogen werden. Die jüngere Geschichte – insbesondere in Deutschland – zeigt, dass dies keine theoretischen Risiken sind, sondern gelebte Realität.

Dennoch wird so getan, als könne man das klassische Waqf-Modell schlicht symbolisch reproduzieren, indem man eine Stiftung gründet und auf die moralische Integrität der Verantwortlichen vertraut. Genau hier beginnt das strukturelle Problem.

Spenden ohne Bindung – Macht ohne Verantwortung

Das spendenbasierte Modell erzeugt eine fundamentale Asymmetrie:
Die Gemeinde finanziert, doch sie besitzt nicht. Sie trägt, doch sie kontrolliert nicht. Sie hofft, doch sie entscheidet nicht.

Wer spendet, verliert sein Geld endgültig und erhält im Gegenzug weder ein Mitspracherecht noch einen rechtlich einklagbaren Anspruch auf Repräsentation, Transparenz oder demokratische Mitwirkung. Einzig die Hoffnung auf Anerkennung und/oder die Gunst Allahs bleiben dem Spender erhalten. Der Vorstand oder Stiftungsrat hingegen verwaltet fremdes Kapital ohne eigenes wirtschaftliches Risiko. Diese Konstellation ist aus Governance-Sicht problematisch – unabhängig von religiösen Motiven.

Die Folgen sind bekannt: Moscheen werden von kleinen Zirkeln kontrolliert, Vorstände rekrutieren sich selbst, Imame werden nach Loyalität statt nach Kompetenz ausgewählt, und zentrale Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen. Kritische Stimmen wandern ab, gründen neue Gebetsräume oder resignieren. Am Ende entsteht nicht Einheit, sondern Fragmentierung.

Besonders gravierend ist, dass sich solche Strukturen kaum korrigieren lassen. Wer einmal gespendet hat, hat keinen Hebel mehr. Die einzige Möglichkeit ist Rückzug – nicht Reform.

Ideologisierung, Nationalisierung und familiäre Verfilzung

Hinzu kommt ein weiteres, häufig unterschätztes Risiko: die Vereinnahmung von Moscheen durch bestimmte Ideologien, bestimmte Nationalitäten oder Netzwerke. Wo keine breit abgestützte Eigentümerstruktur existiert, können organisierte Gruppen ihren Hintergrund  relativ leicht verschleiern und sobald das Geld zusammengekommen ist, die Kontrolle ausüben, z.B. durch gezielte Vorstandsbesetzungen. 

Nicht selten entwickeln sich Moscheen so zu faktischen Filialen bestimmter Herkunftsländer, theologischer Schulen oder politischer Strömungen. Was ursprünglich als offenes Gotteshaus gedacht war, wird zur Identitätsbastion einer Teilgruppe. Auch familiäre Verflechtungen sind kein Ausnahmefall: Brüder, Cousins, Schwager im Vorstand; Postenvergabe nach Nähe statt nach Qualifikation.

All dies geschieht nicht zwingend aus Bosheit, sondern aus der Logik geschlossener, unkontrollierter Systeme. Wo Macht nicht geteilt werden muss, wird sie selten freiwillig abgegeben.

Die Illusion der Gemeinnützigkeit

Oft wird eingewandt, dass Vereine und Stiftungen zumindest gemeinnützig seien und daher moralisch und steuerlich überlegen. Doch Gemeinnützigkeit ersetzt keine demokratische Legitimation und keine wirtschaftliche Verantwortung. Sie schützt nicht vor Fehlmanagement, nicht vor Intransparenz und nicht vor ideologischer Verengung.

Im Gegenteil: Die Vorstellung, man habe es mit „Allahs Geld“ zu tun, kann sogar zu einer gefährlichen Entkopplung von Verantwortung führen. Wer fremdes Geld ohne Eigentümerstruktur verwaltet, ist weniger gezwungen, effizient, professionell und rechenschaftspflichtig zu handeln.

Die Aktiengesellschaft als Alternative: Eigentum, Verantwortung, Kontrolle

Vor diesem Hintergrund erscheint die Idee, eine Moschee über eine breit abgestützte Aktiengesellschaft zu realisieren als konsequente Antwort auf die Realität.

Eine solche Struktur würde es Muslimen ermöglichen, sich nicht als blosse Spender, sondern als Miteigentümer ihres Gotteshauses zu engagieren. Wer Aktien zeichnet, bringt Kapital ein, behält jedoch sein Eigentumsrecht. Er trägt Verantwortung – und hat zugleich ein legitimes Interesse daran, dass das Projekt gut geführt wird.

Diese Beteiligung schafft Bindung. Sie erzeugt Aufmerksamkeit. Sie zwingt den Vorstand zu Transparenz. Fehlentscheidungen werden nicht nur moralisch, sondern wirtschaftlich relevant. Gleichzeitig bleibt der religiöse Zweck gewahrt: Die Statuten können klar festlegen, dass das Gebäude dauerhaft und ausschliesslich als Moschee genutzt werden darf und keine Zweckentfremdung möglich ist.

Entscheidend ist: Das Ziel einer solchen AG wäre nicht Gewinnmaximierung. Im Gegenteil: Die Rendite wäre voraussichtlich gering oder null, insbesondere im Vergleich zu klassischen Kapitalanlagen. Alleine diese Opportunitätskosten können problemlos als Sadaqa interpretiert werden. Wer sich dennoch beteiligt, tut dies bewusst zugunsten eines religiösen und gesellschaftlichen Projekts – mit dem entscheidenden Unterschied, dass er im Notfall eine Exit-Option hat, indem er seinen Anteil veräussert.

Islamrechtliche Perspektive: Zweck vor Form

Aus islamrechtlicher Sicht gibt es keinen belastbaren Grund, ein solches Modell pauschal abzulehnen. Weder Qurʾān noch Sunna schreiben eine bestimmte zivilrechtliche Organisationsform für Moscheen vor. Entscheidend ist der Zweck: Gottesdienst, Gemeinwohl, Zugänglichkeit.

Historisch waren Moscheen in unterschiedlichsten Eigentumsformen organisiert – privat, staatlich, gemeinschaftlich. Eigentum an sich ist nicht unislamisch. Auch der Umstand, dass jemand Anteile hält, macht ihn nicht zum Profiteur religiöser Praxis, solange keine Ausbeutung oder Zweckentfremdung stattfindet.

Wer sein Kapital bewusst in ein Projekt mit geringer Rendite einbringt, um eine Moschee zu ermöglichen, verzichtet faktisch vollständig oder teilweise auf Gewinn zugunsten eines höheren Ziels. Dass er dabei Eigentümer bleibt, widerspricht weder der Ethik der Ṣadaqa noch dem Geist des islamischen Engagements.

Schlussfolgerung: Zeit für einen Paradigmenwechsel

Die zentrale Frage lautet daher nicht, ob Moscheen „gespendet“ oder „investiert“ werden, sondern ob sie langfristig dem Wohl der Gemeinschaft dienen oder unkontrollierten Strukturen ausgeliefert sind. In einer europäischen Realität ohne Waqf-Schutz, ohne religiöse Aufsicht und mit realen politischen Risiken ist es naiv, weiterhin auf Modelle zu setzen, die strukturell Machtkonzentration und Intransparenz begünstigen.

Ein aktienbasiertes Moscheeprojekt ist kein Abweichen von islamischen Idealen, sondern ein Versuch, diese Ideale unter realen Bedingungen verantwortungsvoll umzusetzen. Es verbindet Eigentum mit Verantwortung, Engagement mit Kontrolle und religiösen Zweck mit moderner Governance. Vielleicht ist es an der Zeit, diesen Weg nicht nur zu diskutieren, sondern ihn tatsächlich zu gehen.




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