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Shahidat al-Hijab, Marwa El-Sherbini (1977-2009)


Von Abdel Azziz Qaasim Illi
Bern, 1.7.2010

Am 1. Juli 2009 trat die junge Ägypterin vor dem Dresdener Amtsgericht zum zweiten Mal in den Zeugenstand, um die islamophoben und rassistischen Äusserungen des Deutsch-Russen Alex W. zu bestätigen. Was danach geschah, sollte Europas Muslime in einen Zustand  kollektiver Bestürzung und Anteilnahme versetzen. Alex W. sprang auf und stach die schwangere Marwa mit 18 Messerstichen vor den Augen des Gerichts, ihres dreijährigen Sohnes und ihres Ehemanns nieder. Zu allem Überfluss wurde letzterer beim Versuch seiner Frau zu Hilfe zu eilen auch noch von einem diensthabenden Polizisten angeschossen. Die 32-jährige Mutter verblutete am Tatort. Sie gilt heute vielen Muslimen als „shahidat al-hijab“, also als Märtyrerin, die für das Tragen ihres Hijabs das Leben lassen musste. [Allahs Gnade möge auf ihr ruhen.]

Die öffentliche Nachbearbeitung des islamophob motivieren Mordes gestaltete sich harzig. Medien und Politik verpassten es tagelang, das Ausmass dieses Verbrechens richtig einzuordnen. Lokale Nachrichten stellten den Fall als eine persönliche Tragödie dar. Erst kritische Berichte aus dem Ausland (The Guardian, al-Misriyya) sowie Interventionen der islamischen Zentralverbände erzeugten den nötigen Druck, der dazu führte, dass der Fall letztlich doch noch vor seinem ganzen Hintergrund betrachtet werden musste. Angela Merkel kondolierte schliesslich am 10. Juli dem ägyptischen Staatsoberhaupt Hosni Mubarak, unterliess es jedoch sich an die Muslime in Deutschland zu wenden. Bis heute kritisieren die Islam-Verbände, allen voran der Zentralrat der Muslime in Deutschland ZMD die DIK (Deutsche Islamkonferenz) für die noch immer fehlende Debatte über Islamophobie in der deutschen Gesellschaft.

Wie nötig diese nämlich wäre, zeigte sich im Verlauf des Prozesses gegen den Mörder Marwas. Der Wahlverteidiger des Angeklagten, Veikko Bartel sorgte für Aufsehen, als er behauptete, Schuld an der Tat sei der Islam.  Das Gericht müsse untersuchen, „welches Bild der Islam von sich selbst zeichnet beziehungsweise zeichnen lässt“, um herauszufinden, was seinen Mandanten „zu einem Menschen gemacht hat, der eine solche Tat begehen kann“, sagte der Verteidiger Veikko Bartel.

Bei der Enthüllung der Gedenktafel heute exakt ein Jahr nach der Tat bleiben viele Fragen offen. War der Mord an Marwa manifester Höhepunkt einer latent unter uns weilenden Islamophobie oder war er Debut dessen, was uns die Zukunft noch so alles verheissen mag? Klar ist, früher oder später muss sich die Gesellschaft dieser Frage stellen. Islamophobie ist auch für Schweizer Muslime eine alltäglich erfahrbare Realität, die nicht erst nach einem Aufsehen erregenden Mord problematisiert werden darf. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) kam im Tangram 25 nicht umhin, das Ergebnis der Volksabstimmung vom 29. November 2009, als islamophob zu bezeichnen. Zudem stellte die Kommission schon im Editorial fest, dass muslimische Frauen und Mädchen die ersten Opfer eines Klimas der Intoleranz seien, das alles umgebe, was mit dem Islam zu tun habe. „Bemerkungen, die von Respektlosigkeit zeugen, sind jedoch erst der Anfang. So ist in der Arbeitswelt und im Rahmen der Wohnungssuche die Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen an der Tagesordnung. Für Unbehagen sorgen vor allem die sichtbaren Zeichen von Religiosität. Das Ergebnis der Abstimmung über die Minarett-Initiative hat dies deutlich gezeigt.“

Freilich, niemand sollte die Probleme, die im Zusammenhang mit der Migration – übrigens nicht nur muslimischer Personen – auftreten, unter den Tisch wischen. Selbstverständlich müssen sich auch zugewanderte Muslime dahingehend integrieren, dass sie eine Landessprache beherrschen, dass sie die landesüblichen Umgangsformen kennen, um sich je nach Begebenheit an die geforderten Umstände anpassen zu können.

Doch dürfen Defizite bei der Integration nicht durch eine zunehmende Legitimierung des Islamophoben kompensiert werden. Erstens weil es wohl allen ethischen Grundsätzen zuwiderläuft, wenn man ein Kollektiv für den Unwillen Einzelner anklagt und zweitens weil zunehmende Ablehnung die Integration noch weiter erschwert. Marwa el-Sherbini war paradoxerweise eine gut integrierte, couragierte Frau. Sie verstand es bestens, das deutsche Rechtssystem um Hilfe anzurufen. Tragischerweise war letzteres zwar in der Lage ihre Rechte a posteriori zu wahren, nicht aber ihr Leben zu schützen.
Besuchen Sie die Memorial-Site für Schwester Marwa. –> hier

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