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Europas Demografiekrise und die Muslime
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29.09.2025

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Europas Demografiekrise und die Muslime

Schrumpft sich Europa selbst ins Abseits? Wenn vier Todesfälle drei Geburten schlagen, warum Zuwanderung allein nicht reicht und wieso Muslime jetzt mitgestalten sollten.

Von Nicolas Blancho

Europa steckt demographisch im Rückwärtsgang. 2024 wurden in der EU 3,56 Millionen Kinder geboren, aber 4,82 Millionen Menschen starben. Das natürliche Minus lag damit bei rund 1,26 Millionen. Nur durch Zuwanderung von etwa 2,3 Millionen Personen konnte die Bevölkerung auf 450,4 Millionen wachsen. Seit 2012 ist die natürliche Bilanz durchgehend negativ. Gleichzeitig steigt die Belastung: Auf eine Person über 65 Jahre kommen in der EU nur noch gut drei Erwerbsfähige. Diese „Old-Age-Dependency-Ratio“ lag Anfang 2024 bereits bei 33,9 %.

Länderblick: Deutschland, Schweiz, Österreich – und der Rest Europas

Deutschland verzeichnete 2024 eine Fertilität von 1,35 Kindern pro Frau – weit unter dem Ersatzniveau von 2,1. Der natürliche Saldo war bereits 2023 bei –335 000, Tendenz weiter negativ. Die Bevölkerung wächst nur durch Migration, die seit 2024 aber ebenfalls abnimmt.

In der Schweiz überschritt die Bevölkerung 2024 die 9-Millionen-Marke, primär durch Nettozuwanderung. Die Geburtenziffer fiel auf 1,29, ein historisches Tief. Kantonale Unterschiede bestehen: In Zürich oder Genf liegt ein kleiner Geburtenüberschuss vor, in älteren Kantonen wie Tessin und Bern ein Sterbeüberschuss.

Österreich verzeichnete 2024 zum fünften Mal in Folge mehr Todesfälle als Geburten: 76 873 Neugeborenen standen 87 407 Verstorbenen gegenüber. Die TFR fiel auf 1,31, den niedrigsten jemals gemessenen Wert.

Noch dramatischer ist die Lage in Ost- und Südeuropa: In Bulgarien starben 2024 rund 100 700 Menschen bei nur 53 400 Geburten. In Italien sank die Zahl der Neugeborenen auf ein Rekordtief von etwa 370 000, die TFR betrug 1,18. Ohne Migration würde sich die italienische Bevölkerung bis 2100 halbieren. Frankreich steht mit 1,62 Kindern je Frau noch vergleichsweise stabil da, weist aber nur noch einen kleinen natürlichen Überschuss aus. Großbritannien wächst nahezu ausschließlich durch Migration; der natürliche Saldo ist marginal.

Der Trugschluss der „Ersatzmigration“

Migration gilt als schnelle Lösung. Doch die EU-Projektionen zeigen: Selbst bei weiterem Zuzug in der Höhe der letzten Jahre wird die Bevölkerung langfristig sinken. Ohne Migration schrumpft die EU bis 2100 auf etwa 358 Millionen Menschen, mit heutiger Migration sinkt sie immerhin auf rund 419 Millionen. Nur eine deutlich höhere Nettozuwanderung könnte Stabilität bringen – doch genau diese wird politisch schwieriger, integrationsintensiver und finanziell kostspieliger.

Hinzu kommt: Auch die klassischen Herkunftsländer verzeichnen sinkende Geburtenraten. Indien, Marokko, die Türkei – einst „Reservoirländer“ – stehen selbst vor dem demographischen Kipppunkt. Migration kann also langfristig gar nicht mehr die Rettung sein, die viele versprechen.

Soziale Realität: Integration, Bildung, Innovation

Europa hinkt in Unternehmertum, Forschung und Gründungsdynamik zurück. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte: In Deutschland blieben 2024 über 1,5 Millionen Stellen unbesetzt. Die Alterung verschärft das Problem weiter. Wer Migration fordert, muss auch Integration, Bildung und Produktivität garantieren. Ohne das droht eine Erosion von Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaat und wirtschaftlicher Substanz.

Die muslimische Chance

Dieser Trend ist eine historische Chance für Muslime in Europa. Erstens demographisch: Muslime haben im Durchschnitt höhere Geburtenraten, stärkere Familienstrukturen und ein anderes Wertefundament. Zweitens religiös: Der Prophet Muḥammad sagte: „Heiratet die liebevolle, fruchtbare Frau; denn ich werde mich am Tag der Auferstehung eurer rühmen vor den Völkern.“ Dieser ḥadīṯ wird in den klassischen Quellen mehrfach überliefert und von maßgeblichen Hadith-Gelehrten als ḥasan eingestuft.

Aber Demographie allein genügt nicht. Muslime müssen aktiv Verantwortung übernehmen: Bildungsdefizite abbauen, Fachkräftemangel füllen, in die Mittel- und Oberschicht aufsteigen, Unternehmen gründen, Arbeitsplätze schaffen und politisch gestalten. Wer dies tut, beweist, dass Muslime nicht Teil des Problems sind, sondern Teil der Lösung. Damit lassen sich langfristig auch Islamophobie und antimuslimische Ressentiments abbauen. Nicht durch Proteste oder Randale, sondern durch geduldigen, konstruktiven Einfluss.

Schon heute zeigt sich der Effekt: In Frankreich muss jede Präsidentschaftskandidatur die muslimische Wählerschaft mitbedenken. Palästina ist dadurch nicht mehr so einfach aus der politischen Agenda zu streichen. Je stärker Muslime sozial, ökonomisch und politisch verankert sind, desto mehr verändern sie das Narrativ – für sich selbst und für Europa.

Die Rechenfrage: Wäre eine innere Wende möglich?

Rein rechnerisch braucht es eine Fertilität von rund 2,1 Kindern pro Frau, um die Bevölkerung stabil zu halten. Deutschland, Österreich und die Schweiz liegen weit darunter. Frankreich zeigt: 1,6 Kinder mildern den Rückgang, stoppen ihn aber nicht. Um das jährliche EU-Defizit von etwa 1,3 Millionen Geburten zu kompensieren, müssten die Geburtenraten deutlich steigen – wahrscheinlich über 2,1, da die Basis der Frauen im gebärfähigen Alter bereits kleiner wird.

Für muslimische Familien ergibt sich daraus eine besondere Verantwortung und zugleich eine historische Chance. Studien belegen, dass muslimische Frauen in Europa derzeit im Schnitt rund 2,5 Kinder haben – also deutlich mehr als der Durchschnitt. Würden muslimische Familien ihre Geburtenrate bewusst stabil halten oder sogar auf etwa 2,8 bis 3,5 Kinder steigern, könnten sie nicht nur relativ stärker wachsen, sondern tatsächlich einen messbaren Beitrag zur Umkehr des Schrumpftrends leisten, selbst wenn die Mehrheitsgesellschaft weiter unterhalb des Ersatzniveaus bleibt.

Genau deshalb ist es ein fatales Signal, wenn auch muslimische Frauen beginnen, sich von der Kinderfrage abzuwenden. Was auf den ersten Blick wie individuelle Freiheit erscheint – weniger Verantwortung, mehr Selbstverwirklichung – hat gesamtgesellschaftlich katastrophale Folgen. In dieser Phase jedoch können Muslime durch bewusst gelebte Familienorientierung nicht nur demographisch die Nase vorne haben, sondern entscheidend dazu beitragen, Europa eine Zukunft zu geben.

Die provokante Frage lautet daher: Warum soll es Migration sein? Warum nicht eine innere Kehrtwende, die Familie und Kinder wieder positiv auflädt, die politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen schafft, die Kinder möglich machen? Ohne diese Wende wird Europa durch die Realität gezwungen werden – mit harten Einschnitten, Ordnungspolitik, Leistungskürzungen und höheren Abgaben.

Die narrative Wende

Die Kultur des radikalen Individualismus, des Wokeismus und des Konsumismus hat Europa in die Sackgasse geführt. Freiheit wurde mit Bindungslosigkeit verwechselt, Selbstverwirklichung mit Verantwortungslosigkeit. Das Ergebnis sind Gesellschaften, die keine Zukunft mehr haben. Europa muss das Narrativ drehen: Familie, Verantwortung und Kinder dürfen nicht länger als Last gelten, sondern als Grundlage jeder Zukunft.

Muslime können dabei Brücken bauen: Sie verkörpern noch Werte, die Familie und Kinder hochhalten. Sie können das Gegenmodell sein, wenn sie gleichzeitig Bildung, Innovation und Rechtsstaatlichkeit leben. Damit helfen sie nicht nur Europa, sondern auch sich selbst – indem sie ihren Platz in der Gesellschaft festigen, Islamophobie abbauen und langfristig ihre Anliegen, von sozialer Gerechtigkeit bis Palästina, stärker ins Gewicht bringen.

Die Uhr tickt

Europa kann den demographischen Stresstest bestehen – aber nur mit einem doppelten Ansatz: einer mutigen Familienpolitik und einer klugen Integrations-, Bildungs- und Produktivitätsoffensive. Ebenso muss sich der Kontinent ökonomisch und innovationspolitisch neu erfinden: weniger Schwerfälligkeit, mehr Mut, mehr Attraktivität für Unternehmertum und Kreativität. Hier können gerade erfolgreiche Muslime einen unverzichtbaren Beitrag leisten – durch Aufstieg, Unternehmergeist und die Fähigkeit, neue Impulse einzubringen.

Migration allein würde Europa mit höchster Wahrscheinlichkeit in eine Dauerkrise führen. Die Gesellschaften müssen lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Für Muslime eröffnet sich jetzt die historische Chance, demographisch, ökonomisch und politisch konstruktiv Verantwortung zu zeigen – nicht durch Konfrontation, sondern durch Leistung, Pionierarbeit und Werte. Sie können die Zukunft Europas – und gerade auch die der Schweiz – durch proaktives Engagement positiv mitgestalten. Wer diese Möglichkeit ignoriert, muss beantworten, wie Alterslast, Fachkräftemangel, Innovationsschwäche und die Vielzahl weiterer Herausforderungen ohne einen solchen inneren Aufbruch jemals gelöst werden sollen. Die Uhr tickt

 

Endnoten

  1. Eurostat, Population and population change statistics: EU 2024 – 3,56 Mio. Geburten vs. 4,82 Mio. Sterbefälle; Wachstum ausschließlich durch Migration.

  2. Reuters, EU population hits record 450 million (2025): Nettozuwanderung 2024 +2,3 Mio.; natürliches Minus ~1,3 Mio.

  3. Eurostat, Demography of Europe 2024: natürliche Bevölkerungsbilanz seit 2012 negativ.

  4. Eurostat, Population structure and ageing: Old-Age-Dependency-Ratio EU 33,9 % (01.01.2024).

  5. Destatis, Fertility 2024: Deutschland TFR 1,35.

  6. Statistik Austria, Geburtenbilanz 2024: –10 534 natürlicher Saldo; TFR 1,31.

  7. BFS/FSO Schweiz, Bevölkerung und Geburten 2024: >9 Mio. Einwohner; TFR 1,29.

  8. Bulgaria NSI, Population and demographic processes 2024: 53 428 Geburten vs. 100 736 Todesfälle.

  9. Istat, Italien 2024: Geburten ca. 370 000, TFR ~1,18; Prognose Halbierung der Bevölkerung ohne Migration.

  10. Le Monde/Insee, Frankreich 2024: TFR 1,62.

  11. The Times (UK, ONS-Daten): UK-Bevölkerungsplus 2023/24 fast ausschließlich Migration.

  12. Dorar al-Sunnah Hadith-Datenbank, ḥadīṯ „tazawwajū al-wadūd al-walūd…“, Bewertung ḥasan.

 


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