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FAQ

Dürfen muslimische Frauen sich die Geschlechtsteile oder die Brustwarzen piercen lassen?

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24.06.2025

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Das islamische Recht schützt den menschlichen Körper in seiner natürlichen Unversehrtheit (fiṭra) und betrachtet ihn als amāna – ein anvertrautes Gut, das sorgfältig behandelt werden muss (vgl. Q 23:14). Der Intimbereich und die weibliche Brust gehören zur besonders geschützten Schamzone (ʿawra muġallaẓa), deren Verletzung oder Verformung nicht ohne zwingenden Grund erlaubt ist.

Ein kosmetischer oder erotischer Schmuck wie Genital- oder Brustpiercings fällt unter die Kategorie „körperverändernde Eingriffe ohne Notwendigkeit“. Ihre islamrechtliche Bewertung ergibt sich aus den folgenden Kernaspekten:

  1. Fehlende Brauchbasis (ʿurf) und juristische Grundlage

Während das Ohrlochstechen bei Frauen auf authentischer Sunna beruht (vgl. Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Nr. 1466), gibt es keinerlei Beleg dafür, dass im Islām zu irgendeiner Zeit Genital- oder Brustpiercings als erlaubter Schmuck praktiziert wurden. Weder in der Prophetenzeit noch in den Jahrhunderten danach ist diese Praxis dokumentiert. Es fehlt somit eine ʿāda šarʿīya (religiös anerkannte Gepflogenheit), auf deren Grundlage eine Erlaubnis aufgebaut werden könnte. Wobei dies allein auch kein Verbot bedeutet.

Selbst Nasenpiercings wurden in manchen šāfiʿītischen Regionen untersagt, weil sie dort nicht als Zierde galten (vgl. al-Qalyūbī, Ḥāšiya 1/120). Umso mehr gilt dies für Piercings, die sich in einer Zone befinden, die von Allāh ausdrücklich mit Würde (karāma) geschützt wurde (vgl. Q 17:70). Dies ist an sich dennoch nicht ausreichend für die Herleitung eines expliziten normativen Verbots. Allerdings greifen hier andere Rechtsmechanismen.

  1. Verbot des Schadens (ḍarar)

Ein islamisches Grundprinzip lautet:

„Lā ḍarar wa-lā ḍirār“ – „Es soll kein Schaden zugefügt werden, weder einem selbst noch anderen.“
(Aḥmad, Ibn Māǧa, Nr. 2341)

Brust- und Genitalpiercings können medizinisch erhebliche Komplikationen verursachen:

  • Infektionen in sensiblen Schleimhäuten oder Drüsen

  • Schädigung von Nerven oder empfindlichem Gewebe

  • Störungen bei Stillen (Brustwarzen)

  • Verunmöglichung oder Verzögerung der rituellen Reinheit (wuḍūʾ, ġusl)

Diese Aspekte fallen unter das islamrechtliche Verbot, den Körper ohne Notwendigkeit zu verletzen. Auch bei Zustimmung des Ehepartners bleibt das Risiko objektiv bestehen.

Medizinische Risiken und funktionale Einschränkungen

Neben dem grundsätzlichen Schadensverbot (lā ḍarar wa-lā ḍirār) und dem Schutz der ʿawra ergeben sich bei Genital- und Brustpiercings zusätzliche medizinisch dokumentierte Risiken, die auch langfristige funktionale Einschränkungen betreffen:

a) Beim Geschlechtsverkehr:

  • Genitalpiercings (z. B. Klitoris-, Schamlippen-, oder Vorhautpiercing) können beim Geschlechtsverkehr Schmerzen, Blutungen oder Irritationen verursachen, insbesondere durch Reibung, ungewollte Bewegungen oder unpassende Positionierung.

  • Partner können sich an den Metallteilen verletzen (Abrisse, Mikrotraumata).

  • Einige Fachartikel verweisen auf eine erhöhte Infektionsrate (Urethritis, Vaginitis) und das Risiko von Narbenbildung, die die sensuelle Wahrnehmung beeinträchtigen kann.

b) Beim Stillen:

  • Brustwarzenpiercings bergen die Gefahr, dass die Milchkanäle beschädigt werden. Dies kann zu folgenden Problemen führen:

    • Milchstau, Mastitis (Brustentzündung),

    • reduzierte Milchmenge, gestörter Milchfluss,

    • erhöhte Infektionsanfälligkeit für Mutter und Kind,

    • Gefahr für das Kind, kleine Metallpartikel oder Bakterien aufzunehmen.

Laut klinischer Studien (z. B. La Leche League International, Breastfeeding Medicine, Vol. 8, Nr. 6) empfehlen Kinderärzte und Stillberaterinnen dringend, Piercings vor der Stillzeit zu entfernen oder gänzlich darauf zu verzichten, da sie Stillhindernisse darstellen und ein erhöhtes Komplikationsrisiko bedeuten.

  1. Erotik und Zierde – ist die Absicht legitim?

Grundsätzlich ist sexuelle Lust in der Ehe erlaubt und erwünscht. Doch die Mittel zur Luststeigerung dürfen die Grenzen der erlaubten Körperveränderung nicht überschreiten. Die klassische Fiqh unterscheidet scharf zwischen:

  • legitimer Pflege und natürlicher Zierde

  • unnatürlicher Manipulation und Verstümmelung (muṯla)

Ibn Ḥaǧar al-Haytamī erklärt, dass jede Veränderung, die keine Verschönerung im anerkannten Brauch ist oder keinem Defekt entgegenwirkt, unter taġyīr ḫalq Allāh fallen kann (vgl. al-Zawāǧir, Bd. 1, S. 126). Das Anbringen eines Rings durch eine empfindliche Brustwarze oder das Perforieren des Genitalbereichs erfüllt keinen klassischen Zierwert und ist weder medizinisch noch kultisch begründet.

  1. Verstümmelung oder Provokation?

Piercings an Brust oder Genitalien werden in vielen islamischen Rechtstexten unter „Verstümmelung“ (muṯla) oder Herabwürdigung des Körpers (ihāna) diskutiert, wenn kein relevanter Nutzen gegeben ist.

Zudem werden derartige Moden oft mit westlich-erotisierten Subkulturen oder sexualisierter Popkultur assoziiert. Damit droht ein Verstoß gegen das Prinzip tashabbuh bi-l-fussāq. Der einzig mögliche Rahmen, dies dennoch zu legitimieren, wäre innerhalb einer Ehe. Wenn etwa der Ehemann eine bestimmten Fetisch diesbezüglich hat.

  1. ʿAwra-Status und Intimsphäre

Die ʿawra darf nur in medizinischer Not oder innerhalb der Ehe offenbart werden. Piercings im Intimbereich bedingen aber Entblößung beim Stechen, Kontrollterminen und Pflege.
Diese faktische Entblößung vor Nichtmaḥramen ist harām, sofern nicht durch echte medizinische Notlage begründet.

  1. Rechtsmeinungen klassischer und zeitgenössischer Autoritäten
  • Der Permanent Fatwā Committee Saudi-Arabien sowie das Islamic Fiqh Council lehnen Genital- und Brustpiercings ab, da sie „keinen anerkannten Nutzen darstellen, den Körper schädigen und den Bereich der ʿawra betreffen“.

  • Die International Islamic Fiqh Academy (IIFA) erwähnt, dass „Veränderungen ohne legitimierende Notwendigkeit am Geschlechtsbereich unter Missbrauch der Schöpfung fallen“.

  • Islamweb nennt Intimpiercings „verwerflich“, selbst innerhalb der Ehe, da sie „einen verletzenden, unnatürlichen Eingriff darstellen“ (Fatwa Nr. 506185).

Fazit:

Ein Piercing an der Brust oder im Intimbereich ist islamrechtlich nicht zulässig oder zu vermeiden. Es fehlt:

  • die Sunna-Grundlage, obwohl dies kein eindeutiges Verbot bedeutet.

  • der anerkannte Brauchwert,

  • ein nachweislicher Nutzen,

  • und der Eingriff birgt gesundheitliche Risiken.

Ein Brust- oder Genitalpiercing ist nicht nur aus juristisch-normativen Texten eher abzulehnen, sondern auch medizinisch bedenklich, da es

  • die funktionale Integrität der Geschlechts- und Brustorgane gefährden kann,

  • beim Geschlechtsverkehr Schmerz und Verletzungen verursachen kann,

  • die Stillfähigkeit beeinträchtigen und Infektionen begünstigen kann,

  • und insgesamt dem Ziel widerspricht, den Körper in Würde, Funktionalität und Reinheit zu bewahren.

Dies wirkt sich wiederum auf die normative Bewertung aus. Die Absicht, sich dem Ehepartner zu verschönern, reicht hier nicht aus, um eine invasive und potentiell schädliche Veränderung an einem der sensibelsten äußeren Körperbereiche zu rechtfertigen.

Belege:

    1. Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Nr. 1466 (Ohrringe)
    2. Ibn Ḥaǧar al-Haytamī, al-Zawāǧir, Bd. 1, S. 126
    3. al-Qalyūbī, Ḥāšiya, Bd. 1, S. 120
    4. Ibn Qudāma, al-Mughnī, Bd. 1
    5. Fatwa der International Islamic Fiqh Academy, Beschluss 173 (2007)
    6. Islamweb Fatwa Nr. 506185
    7. Aḥmad, Ibn Māǧa, Nr. 2341: lā ḍarar wa-lā ḍirār
  • Breastfeeding Medicine, Vol. 8, Nr. 6 (2013): “Nipple Piercings and Breastfeeding: Clinical Review”
  • La Leche League: „Breastfeeding and Body Modification: Nipple Piercings and Their Impact“
  • American Journal of Obstetrics and Gynecology, Vol. 191, Issue 5: „Complications from Genital Piercings in Women“

 


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