Bern, 18.1.2010

Von Abdel Azziz Qaasim Illi

Spätestens die Debatte um das Minarett in der Schweiz musste in jedem Historiker, der sich mit dem Antisemitismus im 19. Jh. auseinandersetzt, Déjà-vues evozieren. Vor allem die Parallelen zwischen der Minarett- und der Schächtinitiative von 1893 erscheinen geradezu als eklatant.

Schaecht_Inserat_18931893 stimmten die männlichen Schweizer Stimmbürger über eine von Tierschutzvereinen initiierte Vorlage ab, die den Juden das rituelle Schächten verbieten sollte. Wie neulich bei den Minaretten wendeten sich der Bundesrat und das Parlament, sprich die classe politique, mit deutlicher Mehrheit und Bestimmtheit gegen den gewünschten Verfassungsartikel. Damals wie heute stützte die classe politique ihre Entscheidung vor allem auf rechtliche Bedenken. Sie folgte der jüdischen Argumentation, wonach das Schächten ein durch das Rabbinat bestätigter Kultus sei, dessen Einschränkung eine Beschneidung der Religionsfreiheit bedeute. Prominente Rechtsgutachter bestätigten diese Auffassung genauso wie die Mehrheit aller zu jener Zeit lehrenden Physiologen und Veterinäre, die das Schächten als nicht-tierquälerisch beurteilten.

Doch wie im Falle der Minarette, prävalierte auch damals ein Gemisch aus mehrheitlich diffusen, wenigen realen Ängsten und althergebrachten Stereotypen. Eine heute weit verbreitete Behauptung ist, die Muslime würden Parallelgesellschaften anstreben und sich grundsätzlich von der christlichen Mehrheitsbevölkerung absondern. Man stösst sich an religiösen Tabus, wie dem Verbot Schweinefleisch zu konsumieren oder Pflichten, wie dem Tragen des Hijabs. Neu ist dieser Argumentationstyp keinesfalls. Den Juden warf man ebenfalls vor, „einen Staat im Staate“ zu betreiben, ihre Speisegesetze und Kleidervorschriften seien anstossend – zuweilen auch störend und dass sie sich nicht weitgehend genug der „abendländischen“, N.B. „zivilisierten Kultur“ anpassten.

minarett_inserat_SVP_smImmer wieder tauchte im 19. Jh. auch die Forderung auf, die Juden müssten bis in den Bereich des Kultus hinein, die deutsche Sprache sprechen. Hintergrund dieser Forderung war der weit verbreitete Glaube, die Juden hätten sich gegen die Christen kollektiv verschworen, um endlich die Herrschaft an sich zu reissen. Ähnlich schrille Töne sind auch heute in der Islamdebatte nicht zu überhören. Moscheen seien der Transparenz zuliebe auf die Landessprache zu verpflichten. Dass dabei implizit, zu weilen auch explizit, das alte Stereotyp der Doppelzüngigkeit mitschwingt, verdeutlichen zahlreiche Aussagen aus der Politik.

Wolfgang_Benz_Dimension_VkM_smDer Historiker, Wolfgang Benz, seit 1990 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, vertritt die These, wonach die moderne Islamophobie durchaus Parallelen zum Antisemitismus im fin de siècle aufweist. In beiden Fällen würden „wirkliche und vermeintliche Sachverhalte auf Negativa reduziert.“ Heinrich von Treitschke (1834-1896) sah im mangelnden Assimilationswillen der jüdischen Minderheit eine innere Bedrohung für das Deutsche Kaiserreich. Ein Aufsatz aus seiner Feder gilt als Auslöser der heute unter dem Begriff „Berliner Antisemitismusstreit“ bezeichneten Debatte ab 1879 über die Grenzen der Judenemanzipation. Treitschke bemühte die Angst vor dem Ostjuden. „Aus der unerschöpflichen polnischen Wiege“, so der damals renommierte Historiker, dränge „eine Schar strebsamer, Hosen verkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen“ würden.
Benz spricht hier von einer „unübersehbaren Parallele“ zu den Aussagen der heutigen Demographie-Demagogen, die im Wochenbett der muslimischen Frau eine „taktische Waffe zur Islamisierung Europas“ sehen. Auch die immer selbstverständlicheren Verweise auf den Qur’an, der angeblich „in über 60 Suren zum Mord an Andersgläubigen“ aufrufe, wecke Erinnerungen an die phantasievolle Anti-Talmud-Rhetorik oder Ritualmord-Märchen der Antisemiten.

Schoeps_JoachimDer epistemologischen Fruchtbarkeit des paradigmatischen Vergleichs antisemitischer und isalmophober Stereotypen widerspricht der deutsch-jüdische Historiker Joachim Schoeps. Zwar sei Islamophobie nicht schönzureden, könne jedoch qualitativ nicht mit dem in seiner Art einzigartigen Hass gegen die Juden verglichen werden. Zwar sei Islamophobie ein „destruktives Gegenwarts-Phänomen voller Hass, Intoleranz und krimineller Energie, jedoch ohne erkennbares ideologisches Gerüst, ohne politisches Programm, ohne staatliche Rückendeckung und ohne die übermächtigen Mythen von den „Feinden der Menschheit“.“ Weiter fragt er sich, wo die Ritualmord- und Brunnenvergiftungsvorwürfe, die Behauptung Muslime wollten Kulturen und Völker zerstören, bleiben. Und wo ist der muslimische Alfred Dreyfus?

Man ist geneigt Benz gegen diese dogmatisch anmutende Kritik in Schutz zu nehmen, zumal er keine unreflektierte Gleichsetzung antisemitischer und islamophober Kategorien postuliert hat, sondern lediglich auf einzelne offensichtliche Parallelen in der Rhetorik „juden- und islamkritischer“ Autoren aufmerksam macht. Ob der Benz’sche Ansatz in der Historiographie zu neuen Erkenntnissen führt, bleibt abzuwarten. Ihn jedoch a priori als nicht applikabel aus der Diskussion ausschliessen zu wollen, erweckt den Verdacht ideologischer Gebundenheit.

Ein solches Beispiel lieferte kürzlich „die Welt“ in ihrer Onlineausgabe vom 12. Januar 2010, als sie mit Verweis auf den deutsch-jüdischen „Islamkritiker“, Henryk M. Broder, das wissenschaftliche Vorgehen Benz’ scharf attackierte. Der Autor des Artikels „Islamkritik ist nicht vergleichbar mit Judenhass“ weist die Methode der komparativen Diskursanalyse mit hässlichen Mensch-Tiervergleichen als nicht anwendbar zurück, möglicherweise um sich mit den zumal für Deutschland besonders unangenehmen Fakten der Vergangenheit nicht erneut auseinandersetzen zu müssen. Demnach hätte Islamophobie mit Antisemitismus in etwa so viel gemeinsam, wie „ein Nilpferd mit einem Menschen: Es isst, schläft, verdaut und pflanzt sich heterosexuell fort.“

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Veröffentlicht am: 18. Januar 2010
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