Die islamische Jugend hat es heute besonders schwer
Die islamische Jugend hat es heute besonders schwer

Immer mehr muslimischen Jugendlichen wird der Weg in die Mitte der Gesellschaft bereits an der Schwelle in die Berufswelt abgeschnitten – nicht etwa wegen mangelnder Leistung, sondern infolge einer zunehmend intoleranten Wertehaltung in der Gesellschaft.

Von Abdel Azziz Qaasim Illi  


Das Klima in der Schweiz gegenüber dem Islam und den Muslimen kühlt sich zusehends ab – und zwar eindeutig nicht erst seit dem Ausbruch des IS-Fiebers. Gerade Jugendliche erleben die Wirkung der gesellschaftlichen Islamophobie in besonderem Masse, sind sie doch vermehrt noch von staatlichen Institutionen wie Schulen oder Betreuungseinrichtungen abhängig. Besonders beim Berufseinstieg zeichnen sich Hürden ab, die eigentlich nicht sein müssten.

Es vergeht keine Woche, ohne dass sich mindestens ein Jugendlicher oder eine Jugendliche zwecks Beratung beim Islamischen Zentralrat meldet. Immer öfters sind es auch Institutionen, die im Umgang mit einem muslimischen Heranwachsenden um Rat ersuchen. Obwohl die Fälle grundsätzlich verschiedener Natur sind, gehen praktisch alle Konflikte auf einen merkwürdigen Anspruch von Seiten der Institutionen zurück. Jugendlichen wird abverlangt, dass sie sich dem säkularen Wertesystem unterordnen und auf die Praxis ihrer religiösen Pflichten im Zweifelsfall verzichten.

Erst kürzlich war ich mit einem jungen Mann konfrontiert, dessen Arbeitsstelle er verloren hatte, weil sein Vorgesetzter der Ansicht war, dass die Verrichtung des islamischen Gebets mit seiner Arbeit als Automechaniker nicht vereinbar sei – auch nicht während den Arbeitspausen. Es geht in solchen Fällen selten darum, dass reale Sachinteressen des Arbeitgebers tangiert würden. Vielmehr findet der Konflikt auf einer rein normativ-geistigen Ebene statt. Das Bild des betenden Muslims vor Augen löst bei einem zunehmenden Anteil der Schweizer Gesellschaft wilde Assoziationen aus und steht neben dem Hijab als Symbol für die Unterdrückung der Frau und dem Minarett als Symbol für den politischen Machtanspruch des Islams für eine weitere Spielart islamischer Provokation der säkularen Gesellschaftsordnung.

Gegen das Beten in den Pausen, das Stück Stoff auf dem Kopf oder vor dem Gesicht und das Türmchen auf der Moschee lassen sich von einem materiell-rationalen Gesichtspunkt aus keine überzeugenden Argumente finden, die deren Ausschluss aus dem öffentlichen Raum der Gesellschaft rechtfertigen könnten. Dennoch scheut diese Gesellschaft den Aufwand nicht, den Islam gesondert von allen anderen Formen des Religiösen im Zuge einer langwierigen normativen Wertedebatte zu problematisieren.

Aufwachsen im Kontext der Intoleranz

Muslimische Jugendliche wachsen im Kontext dieser aus islamischer Perspektive weniger als geordnete Debatte denn als „clash of values“ erlebten gesellschaftlichen Auseinandersetzung heran und geraten wie oben angetönt wegen ihrer noch stärkeren Abhängigkeit von gesellschaftlichem Wohlwollen vermehrt in eine arge Sinnkrise. Die eben in der Schule noch vermittelten Werte wie Toleranz, Religionsfreiheit, individuelle Selbstbestimmung scheinen spätestens an der Schwelle in die Arbeitswelt zumindest in der Praxis für sie ausgedient zu haben. Nicht selten macht man die jungen Menschen glauben, dass sich entlang der Linie „Religion – Arbeit“ ein Art Entweder…oder Situation auftue, wobei das eine dann halt mit dem anderen nicht oder nur schwer vereinbar sei.

Müssen sich muslimische Jugendliche dieser Entscheidung stellen, besteht grosses Konfliktpotential. Wagen sie die Konfrontation mit der säkularen Werteordnung zugunsten ihrer religiösen Überzeugung, laufen sie Gefahr den Einstieg in die Berufswelt und damit in die materiell strukturierte Gesellschaftsordnung zu verpassen – mit allen dazugehörigen möglichen negativen Begleitphänomenen für sie und für die Gesellschaft.

Die vorerst einfachere und wohl vorherrschende Wahl ist die zumindest vordergründige Akkommodation. Je nachdem für welche islamische Lehrmeinung man sich entscheidet, geschieht dies einem mehr oder weniger grossen Einsatz an geistiger Selbstvergewisserung. In den meisten Fällen bleibt jedoch das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit gegenüber den religiösen Pflichten bestehen. Darüber hinaus haftet unausweichlich ein ganz konkretes Bewusstsein um die am eigenen Leibe fortlaufend erfahrene Intoleranz der Gesellschaft an.

Jugendliche, die sich den beruflichen Einstieg mit ihrem religiösen Gewissen erkaufen müssen, entwickeln nur in den wenigsten Fällen ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein für das Gesellschaftliche. Die affirmative Haltung gegenüber der eifersüchtig herrschenden Werteordnung ist allenfalls summarisch. Verliert die Gesellschaft aber heute ihre Integrationskraft hinsichtlich der muslimischen Jugend, wird sie dies in Zukunft bitter bereuen, entgeht ihr doch nicht nur in quantitativer Hinsicht grosses Potential. Gerade die kulturell-religiös und ethnische Vielfalt einer Gesellschaft innerhalb der sich weiter globalisierenden Weltordnung birgt die Kraft der wachsenden komparativen Vorteile und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, sondern möglicherweise auch im Bereich der zukünftigen Sicherheitspolitik.

In jedem Fall täte sich die Gesellschaft gut daran, der muslimischen Jugend den Einstieg in ihre Mitte nicht durch eine totalitäre Wertebarriere zu versperren, so wie dies gegenwärtig ohne Zweifel geschieht.

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