icon menu icon close
Ökonomische Kosten eines Kopftuchverbots in Schulen
ico of date

08.11.2025

1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars (2 Stimmen)

Ökonomische Kosten eines Kopftuchverbots in Schulen

Ein Kopftuchverbot wird von Befürwortern als Befreiungsschlag gegen religiöse Pflichtgefühle und Unterdrückung darstellt. Studien zu Nutzen bzw. Schaden sind sich uneinig. Komplett unerwähnt bleiben aber die ökonomische Kosten.

Von Abdel Azziz Qaasim Illi

In mehreren mitteleuropäischen Ländern – insbesondere in der Schweiz, in Österreich und teils in Deutschland – wird derzeit intensiv darüber diskutiert, ob das Tragen eines Kopftuchs in öffentlichen Schulen verboten werden soll. In Österreich etwa hat die Regierung im September 2025 eine neue Gesetzesvorlage in die Begutachtung geschickt, wonach Mädchen unter 14 Jahren in öffentlichen Schulen kein islamisches Kopftuch mehr tragen kassiert.

In der Schweiz hingegen hat der Bundesrat in seinem jüngsten Bericht vom 22. Oktober 2025 erklärt er, dass er gegen ein generelles Kopftuch-Verbot in Schulen sei – also kein bundesweiter Bann vorgesehen ist. Zu diesem Bericht gab das Postulat 22.4559 Binder‑Keller von 2023 Anlass, welches vom Nationalrat angenommen worden war und den BR aufforderte, die Machbarkeit eines solchen Verbots zu eruieren. Vom Tisch ist es damit noch nicht ganz. Sollte der Ständerat das Postulat auch noch annehmen, könnten sich die Postulanten ermutigt fühlen, selbst einen Gesetzentwurf zur Abstimmung zu bringen. In Deutschland läuft derzeit auch eine Debatte, aber weder gibt es ein Verbot, noch eine ernstzunehmende gesetzliche Initiative. 

In Frankreich gilt seit 2004: Kopftuch vor dem Eingang zur Schule aus- und nach Unterrichtsschluss rasch wieder anziehen. 

Seither wird  über Nutzen und Schaden eines solchen Verbots auch bei uns emotional und unter politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert – selten jedoch unter dem Blickwinkel der Ökonomie: Welche Kosten – direkt wie indirekt – entstehen durch ein solches Verbot? Bevor die Diskussion sich vollends auf ideologische Irrwege begibt, müssen wir uns vor Augen führen, dass während der behauptete Nutzen sehr umstritten ist, seine wirtschaftlichen Kosten für Gesellschaft, Schule und Arbeitsmarkt nie wirklich quantifiziert worden sind.

Symptome vs. Ursachen

Mein zentraler Kritikpunkt dreht sich erstmal um den Nutzen: Ein Kopftuchverbot behandelt  ja selbst aus Sicht der Befürworter nur die Symptome (das sichtbare Stück Stoff) und nicht die Ursache (Religiosität, soziale Integration, Stellung der Mädchen). Wenn also das Kopftuch „verboten“ wird, bleibt die dahinterstehende Idee – religiöse Bindung, kulturelle Identität, familiäre Erwartung – bestehen. Das führt zu mehreren Effekten:

Wenn also das Verbot nicht zu höherer Integration führt, sondern zu stärkerem Ausschluss-Gefühl, dann entstehen Kosten – für Bildungs- und Ausbildungswege, für Staat und Arbeitgeber.

Ökonomische Kosten

1. Verlust von Leistungsprinzip und Produktivitätseinbussen am Beispiel des Kopftuchverbots für Lehrerinnen

Das in der Schweiz bestehende Kopftuchverbot für Lehrerinnen kann dazu führen, dass leistungsfähige, qualifizierte muslimische Frauen nicht eingestellt oder nicht eingesetzt werden – allein wegen ihrer Kopfbedeckung. In der Schweiz gibt es Fälle, bei denen muslimische Lehrerinnen, die sich für den Hijâb entschieden, nicht mehr unterrichten durften (Bern, St. Gallen). In beiden Fällen waren die Lehrpersonen ausgebildete Pädagoginnen. 

Statt der besten Bewerberin wird eine weniger qualifizierte Person möglicherweise sur dossier eingestellt, was die Qualität des Unterrichts kaum verbessern dürfte. Diese Qualitätseinbussen wirken sich auf Bildungsergebnisse aus, was wiederum die Produktivität der zukünftigen Arbeitskräfte mindern könnte.

Für die öffentlichen Schulen heisst das: geringere Bildungserträge, eventuell höhere Kosten für Nachhilfen, Wiederholungen, längere Bildungswege. 

Für Unternehmen: weniger diversifizierte und damit potenziell weniger innovative Belegschaften, Ausschaltung von Talenten allein aufgrund visueller Merkmale → Wettbewerbsnachteil. Die ökonomischen Konsequenzen der betroffenen Lehrerinnen und möglichen Kosten der Arbeitslosenkasse oder durch Ergänzungsleistungen in Folge langfristiger Arbeitslosigkeit, vermindertem Verdienst und Umschulung sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. 

2. Eingeschränkter Arbeitsmarktzugang & Sozialkosten

Wenn das Tragen eines Kopftuchs gesellschaftlich durch ein Verbot bei Schülerinnen weiter stigmatisiert oder gar rechtlich sanktioniert wird, entsteht ein Signal: „Frauen mit Kopftuch gehören nicht gleichermassen ins Berufs- und Ausbildungsleben“. Dies kann dazu führen, dass kompetente muslimische Frauen in Erwerbsarbeits- oder Führungspositionen nicht eingestellt werden – entweder weil Arbeitgeber sich durch das Signal eines Verbots persönlich abschrecken lassen oder aber weil sie befürchten, ihre Kundschaft könnte sich am Hijab stossen. 

Die Folgen sind absehbar: Höhere Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung bei muslimischen Frauen → höhere Kosten für Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe, Umschulung. Dadurch entstünde in den nächsten Jahren eine höhere Abhängigkeit vom Staat und damit verbunden geringere Steuereinnahmen durch nicht genutztes Potenzial. Verminderte Erwerbstätigkeit bedeutet in der Konsequenz auch geringeren Konsum. Einkommensschwache migrantische Familien in der Schweiz z.B. tendieren meiner Erfahrung nach dazu, ihre Grosseinkäufe in Deutschland zu erledigen, die Ferien fast ausschliesslich in der Türkei oder in ihrer ehemaligen Heimat zu verbringen, ihr Erspartes in ausländische Immobilienkäufe anstatt im Inland zu investieren. 

Ein weiterer oft vergessener Aspekt ist die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts. Ein Land, das durch strukturelle Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit auffällt, ist nicht attraktiv für muslimische und darüber hinaus allgemein ausländische Talente. Warum sollte ein hochgebildeter Engländer mit pakistanischen Wurzeln in Österreich eine Stelle annehmen, wenn da seine Töchter in der Schule wegen ihres Glaubens diskriminiert werden?

Dagegen schreckt weder ein Niqab- noch ein Minarettverbot Wirtschaftsflüchtlinge ab. Jene kümmern solche Finessen erstmal reichlich wenig, wenn sie dafür Sicherheit und Aussicht auf Sozialleistungen kriegen. Es sind also ausschliesslich die gesuchten Fachkräfte, die man mit solchen Massnahmen abschreckt. 

3. Bildung und Integration: Langfristige volkswirtschaftliche Effekte

Ein Verbot signalisiert, dass eine soziale Gruppe – hier muslimische Mädchen – nicht ohne zusätzliche Bedingungen Teil der Gemeinschaft sein kann. Wenn das Gefühl entsteht, „Wir gehören nicht gleichwertig dazu“, so wirkt dies auf Bildungs- und Karriereentscheidungen.

Musliminnen könnten sich entmutigen lassen und einen verfrühten Rückzug aus dem Bildungssystem antreten oder a priori weniger ambitionierte Ausbildungswege einschlagen. Höhere Abbruchquoten oder schlechtere schulische Ergebnisse könnten die Folge von Stigmatisierung und Demotivation sein, was in der Konsequenz auch zu geringerer Qualifikation jener zukünftigen Arbeitskräfte führt.

Ökonomisch bedeutet dies: Die Gesellschaft schöpft nicht ihr gesamtes Potenzial aus. In Staaten mit hoher Einwanderungs‐ oder muslimischer Minderheitenquote – wie der Schweiz (ca. 6 % Muslime) oder Österreichs (ca. 8.3% Muslime) – ist die wirtschaftliche Integration der Muslime längst kein Randphänomen mehr, sondern volkswirtschaftlich ziemlich relevant.

Was sagen Studien über Nutzen vs. Kosten?

Es gibt Studien, die behaupten, ein Kopftuchverbot in Schulen könne positive Effekte haben – z. B. in Frankreich beim Verbot von religiösen Symbolen in öffentlichen Schulen 2004. In Österreich wird gerne auf die prominenteste (Eric Maurin und Nicolás Navarrete-Hernandez, 2019/23) verwiesen, wenn es um die Rechtfertigung der aktuellen Gesetzesvorlage geht. Was nicht gesagt wird: Maurins Methode und die Resultate sind in der Forschung stark umstritten. 

So wird moniert, dass Maurins Studie nur eine sehr begrenzte Datenlage verarbeite, Effekte schwer generalisierbar seien und Kausalitäten nicht stringent nachgewiesen würden. Andere Arbeiten zeigen, dass Verbote zu mehr Gefühl der Ausgrenzung, höherem Bildungsabstand und schlechteren Integrationsergebnissen führen können. 

Was behauptet die Maurin Studie?

Eric Maurin und Nicolás Navarrete-Hernandez (Behind the Veil: The Effect of Banning the Islamic Veil in Schools, 2019/2023) konstatieren, dass ein Kopftuchverbot in Schulen positive Effekte auf Bildung und Integration haben könne. Die Arbeit analysiert Daten seit 1994 und postuliert, dass das Verbot religiöser Symbole (einschliesslich Kopftücher) in französischen Schulen die Matura-Erfolgsquote muslimischer Schülerinnen um 8 Prozentpunkte verbessert habe, ohne dass es dabei zu einer Zunahme von Schulabbrüchen oder Wechseln in Privatschulen gekommen sei. Zudem soll es die soziale Integration gefördert haben, indem der Anteil muslimischer Frauen mit nicht-muslimischen Partnern von 13 % auf 22 % gestiegen sei – ein “direkter Beitrag” zur Chancengleichheit und Überwindung kultureller Kluften, wie weiter behauptet wird. 

Was sagen andere Studien?

Andere empirische Arbeiten zeigen hingegen, dass Kopftuchverbote zu einem stärkeren Gefühl der Ausgrenzung, höherem Bildungsabstand und schlechteren Integrationsergebnissen führen können.

Scott (2005/2018, erweiterte Edition): The Politics of the Veil (Princeton University Press, mit empirischen Ergänzungen) hat qualitative und quantitative Daten aus Frankreich ausgewertet, die belegen, dass das Verbot zu erhöhter Stigmatisierung und Ausgrenzung führt, muslimische Mädchen in der Schule isoliert und ihre Bildungschancen vermindert werden, ohne messbare Integrationsgewinne. Stattdessen verstärkt es Vorurteile und reduziert den Kontakt zu nicht-muslimischen Peers.

Abdelgadir & Fouka (2020): Political Secularism and Muslim Integration in the West: Assessing the Effects of the French Headscarf Ban (American Political Science Review) nutzt Difference-in-Differences-Analysen und Umfragedaten, um zu zeigen, dass das 2004er-Verbot die Sekundarschulabschlüsse muslimischer Mädchen senkt, langfristig zu geringeren Erwerbsquoten und Einkommen führe sowie Diskriminationswahrnehmungen verstärke – was sowohl nationale als auch religiöse Identitäten polarisiere und Integration behindere.

Bursztyn et al. (2023): Cool to be Smart or Smart to be Cool? Understanding Peer Effects in Teenage Behavior (erweiterte Analyse zu Diskrimination in Europa, NBER Working Paper) zeigen, dass Verbote von religiösen Symbolen bei muslimischen Mädchen zu höheren Dropout-Raten (bis zu 15 % Zunahme) und schlechteren Leistungen führen, da sie soziale Sanktionen und Identitätskonflikte auslösen würden, was die Bildungslücke zu nicht-muslimischen Mitschülerinnen vergrössert habe. 

Montpetit (2025): Behind the Veil of Origin: Revisiting the Impacts of the French Headscarf Ban in Schools konstatiert einen Rückgang der Oberstufenabschlüsse um 11 Prozentpunkte sowie 0,4 Jahre weniger Schulzeit bei betroffenen muslimischen Kohorten seit 1994. Auch Montpetit arbeitet mit Difference-in-Differences-Modellen sowie Trajectoires et Origines-Umfragen und repliziert damit die Arbeit frühere Studien. Sein Resultat: gesteigerte Diskriminierung und Misstrauen gegenüber dem Schulsystem, mit langfristigen Folgen wie höherer Arbeitslosigkeit und Fertilität.

Hinsichtlich der Konsequenzen für den Arbeitsmarkt gibt es eine spannende Masterarbeit aus Deutschland. Timmermann (2021): The Effects of Headscarf Bans on Muslim Women in the German Labour Market (Masterarbeit, Utrecht University). Die Analyse basierend auf Essers Integrationsmodell zeigt, dass Kopftuchverbote die Integration muslimischer Frauen in kognitiven, strukturellen, sozialen und identifikatorischen Dimensionen behindern – durch reduzierte Beschäftigung (besonders in sichtbaren Rollen), gesteigerte anti-muslimische Ressentiments und finanzielle Nachteile, was zu Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und in der Öffentlichkeit führe.

Es fehlt nach meinem Kenntnisstand eine systematische Studie, die die ökonomischen Kosten eines Kopftuchverbots in Schulen quantifiziert. Damit bleibt festzuhalten: Der behauptete Nutzen (wie in der Maurin-Studie) ist wenig robust belegt und methodisch umstritten, während die negativen Effekte in multiplen Arbeiten plausibel nachgewiesen sind.

Fazit

Ein Kopftuchverbot in Schulen, bei Lehrerinnen aber besonders bei Schülerinnen, erzeugt signifikante wirtschaftliche Kosten auf verschiedenen Ebenen: Verlust von Talenten, eingeschränkte Integration, höhere Sozial- und Bildungskosten, geringere Produktivität. Gleichzeitig ist der unmittelbare Nutzen gering – jedenfalls nicht ausreichend belegt, um diese Kosten zu rechtfertigen.

Ginge es den Befürwortern eines Verbots tatsächlich um das Wohl der Betroffenen, wie sie stets behaupten, wären inklusive Strategien eher erfolgversprechend. Akzeptanz religiöser Identität führt zu mehr Begleitung von Mädchen mit muslimischem Hintergrund, Förderung von Chancengleichheit im Schul- und Berufsweg und entwickelt sich zu einer Win-Win-Strategie für die gesamte Gesellschaft.

Ein Kopftuchverbot dagegen kostet – und bringt kaum belegten Nutzen. Daher ist es ökonomisch wie gesellschaftlich abzulehnen.


SCHLÜSSELWÖRTER

Hijab Kopftuch Kopftuchverbot

ÄHNLICHE ARTIKEL


AKTUELLSTE ARTIKEL

icon of arrow relative

Ökonomische Kosten eines Kopftuchverbots in Schulen

icon of arrow relative

Islamisch-ethische Grenzen der Organspende

icon of arrow relative

Ab wann sollte eine Konvertitin den Ḥijāb tragen?

icon of arrow relative

Der Islam lebt von Vielfalt, nicht von Einfalt

icon of arrow relative

Nasīʾ erklärt: Warum der islamische Kalender rein lunar ist