Die IZRS Delegation auf dem Weg zum Verwaltungsgericht
Die IZRS Delegation auf dem Weg zum Verwaltungsgericht

Während die betroffene Schülerin zusammen mit einer breiten, interessierten Öffentlichkeit auf das Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts wartet, zeichnen die Prozessbeobachter des Islamischen Zentralrates die Argumentationslinien der Beschwerdegegner nach.

(qi) Am vergangenen Freitagmorgen wurde vor dem St. Galler Verwaltungsgericht über das Tragen des islamischen Hijabs während dem Schulunterricht verhandelt. Die Schule St. Marghrethen hatte in ihrer revidierten Schulordnung im September 2012 ein Kopfbedeckungsverbot erlassen. Damit folgte man einem unverbindlichen Kreisschreiben von SVP Regierungsrat Stefan Kölliker aus dem Jahr 2010, welches genau diese Empfehlung abgab.

Gegen die Umsetzung dieses Verbots wehrt sich seither eine muslimische Schülerin. Sie reichte unterstützt vom Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS) Beschwerde beim St. Galler Bildungsdepartement ein. Dass jenes hinter der Schule steht, war allerdings bereits ausgemachte Sache. Schliesslich ist der heutige Vorsteher kein geringerer als Stefan Kölliker, der Verfasser des Kreisschreibens aus dem Jahr 2010. Nach der formellen Abweisung des Rekurses im März 2014 zog die Schülerin das Verfahren ans St. Galler Verwaltungsgericht weiter. Das Urteil der zweiten Instanz wird morgen Dienstag eröffnet.

Am Verhandlungstag mit dabei war auch Janina R. vom Islamischen Zentralrat. Sie und ihre Kolleginnen protokollierten die Aussagen verdankenswerterweise akribisch. Auf dieser Basis soll hier ein Versuch unternommen werden, die Argumentationslinien der Beschwerdegegnerin nachzuzeichnen, ohne jene zu kommentieren oder einer Bewertung zu unterziehen.

RA Urs Freytag vertritt die Beschwerdegegnerin

Übersicht Argumentationslinien

– Negative Religionsfreiheit der Mitschüler / Religionsneutralität des Schulbetriebs
– Störung des Schulbetriebs
– Öffentliches Interesse an Einschränkung qua Integration
– Schwere des Grundrechteingriffs wird in Abrede gestellt
– Gesetzliche Grundlage mit Schulordnung gegeben
– Persönliche Umstände, Vorwurf der Verweigerung

I. Negative Religionsfreiheit der Mitschüler / Religionsneutralität des Schulbetriebs

Durch das sichtbare Tragen eines Kopftuchs im Schulzimmer würden Mitschüler/innen in ihrer negativen Religionsfreiheit (Freiheit von etwas) beeinträchtigt. Freytag sieht keinen wesentlichen Unterschied darin, ob eine Schule den semi-öffentlichen Raum (das Schulzimmer) durch ein Kruzifix (BGE 116 Ia 252) markiert, ob eine Lehrperson ein Kopftuch trägt (BGE 123 I 296) oder ob sich eine Schülerin (BGE 2C_794/2012) bedeckt. In jedem Fall hätten alle Beteiligten ein Recht durch die Religionspraxis einer Person nicht in ihrer eigenen negativen Religionsfreiheit beschränkt zu werden. Gerade dies geschehe aber durch die Anwesenheit des Kopftuches im Klassenzimmer. Anders als im öffentlichen Raum könne man dem Kopftuch in der Schule nicht ausweichen, da der Unterricht obligatorisch sei. Zudem sei es durchaus sichtbarer als etwa ein Kreuzchen an der Halskette.

Sodann verstosse das Kopftuch im Klassenzimmer gegen das Gebot der Religionsneutralität der Schule und da die Schule ja eine staatliche Institution sei auch gegen jene des Staats.

II. Störung des Schulbetriebs

Ein Verbot des Kopftuches habe auch ganz praktische Gründe. So werde der Leistungsauftrag der Schule durch ein Verbot begünstigt nicht nur hinsichtlich der Sozialisation und Integration (vgl. III.) der Schüler, sondern auch hinsichtlich des Ordnungsbedürfnisses. Ein Kopftuch wirke störend und irritierend. Es sei geeignet, die Konzentration der Mitschüler/innen zu beeinträchtigen. Aus diesem Grund habe man auch das Tragen anderer nicht-religiös motivierter Kopfbedeckungsformen wie etwa Basecaps oder Schirmmützen verboten. Namentlich könnten Kopfbedeckungen den Blickkontakt beeinträchtigen oder sie könnten gar als Wurfgeschosse zum Necken der Mitschüler eingesetzt werden. Freytag konzediert, dass dies für das Kopftuch eher nicht zutreffe. Dafür wirke das Kopftuch religiös und politisch provozierend und schränke das Hörvermögen der Schülerin insbesondere dann ein, wenn es mehrfach gewickelt sei. Ziel müsse es sein, in der Schule ein möglichst neutrales Umfeld zu schaffen, in dem alle die gleichen Voraussetzungen und Chancen hätten.

III. Öffentliches Interesse an Einschränkung qua Integration

Die Schule habe einen öffentlichen Auftrag zur Integration. Integration sei zwar in der Rechtsordnung nicht definiert und stelle auch kein Zwang zur Assimilation dar, bedinge jedoch die Annahme von Werten, Normen und Verhaltensweisen der Schweizer. Wer sich einer so gearteten Integration verweigere, laufe Gefahr zu einer Last für das Gemeinwesen zu werden, dann nämlich, wenn nach dem Schulabschluss der Übergang in die Arbeitswelt misslinge. Es sei zu befürchten, dass betroffene Personen entweder in die Sozialhilfe oder die Kriminalität abgeleiteten. Der gesellschaftliche und religiöse Frieden im Land könnte dadurch gestört werden. Insofern bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse, dass ein Verbot des Kopftuches bereits in der Schule durchgesetzt werde. BGE 135 I 79 habe bezüglich des gemischten Schwimmunterrichts festgehalten, dass Integration den Vorrang vor Religionsfreiheit geniesse.

IV. Schwere des Grundrechteingriffs wird in Abrede gestellt

Religiöse Überzeugungen seien stets subjektiv. Die betroffene Person müsse die Schwere einer Einschränkung beweisen, so wolle es das Bundesgericht. Demnach müsse die Einschränkung einen unmittelbaren Teil der religiösen Überzeugung betreffen, was in diesem Fall aus zwei Gründen nicht gegeben sei. Zum einen habe das Kopftuch mit Islam so viel zu tun, „wie eine Kuh mit einem Esel“. Damit spielt Freytag auf die in der öffentlichen Debatte jüngst lautstärker vertretene Meinung „fortschrittlicher“ Musliminnen an, wonach das Kopftuch wohl in der altarabischen Kultur verankert gewesen und von Musliminnen auch fortan noch getragen worden sei, jedoch nicht im Koran als pflichtiges Gebot aufgeführt werde. Auch quantitativ wird argumentiert: Von den 7000 muslimischen Schülern im Kanton (15%) seien 3700 Mädchen, wobei es bisher erst zu drei Klagen gegen Kopftuchverbote gekommen sei.

Zum anderen praktiziere die betroffene Schülerin einen Islam „à la carte“, d.h. sie halte sich nur an Teile des Kanons und vernachlässige andere, was ihre persönliche Freiheit sei. So würde sie zwar auf das Kopftuch bestehen, jedoch nicht regelmässig beten. Ein Teil der fünf Pflichtgebete fielen in die Schulzeit und würden von der Betroffenen gemäss Angaben der Schule nicht eingehalten. Daher könne man nicht davon ausgehen, dass das Kopftuch aus religiösen Gründen getragen würde. Jedenfalls stelle ein Verbot unter diesen Umständen kaum einen schwerwiegenden Eingriff in Religionsfreiheit dar.

Ein Kopftuchverbot tangiere insbesondere in diesem Einzelfall nicht den Kerngehalt der Religionsfreiheit.

V. Gesetzliche Grundlage mit Schulordnung gegeben

Die Beschwerdegegnerschaft macht geltend, dass mit der Schulordnung eine hinreichend demokratisch legitimierte gesetzliche Grundlage gegeben sei. Das St. Galler Volksschulgesetz Art. 33 regle den Erlass ergänzender Vorschriften in Schulen bezüglich Regeln und Pflichten. Die revidierte Schulordnung sei am 17.09.2012 erlassen worden und danach dem fakultativen Referendum unterstanden. Nachdem die Frist von drei Monaten ungenutzt verstrichen sei, trat die Schulordnung am 20.12.2012 in Kraft.

VI. Persönliche Umstände, Vorwurf der Verweigerung

Religion sein keinesfalls per se als Hindernis für die Integration zu werten. Im vorliegenden Fall jedoch entstehe aufgrund der subjektiven Auslegung der Beschwerdeführerin und der spezifischen Glaubenspraxis ihrer Familie ein Konflikt mit hiesigen Werten und Normen sowie mit anderen Grundrechten. So handle es sich bei der Familie um strenggläubige Muslime, die die Shari’a über das Schweizer Recht stellten. Auch die Geschlechterrollen seien in ihrem Verständnis durch die islamische Normativität fest geregelt. Der Mann stehe über der Frau. Dies äussere sich im Falle der betroffenen Familie auch in der schulischen Praxis, etwa dann, wenn die Tochter nicht am Schwimmunterricht oder am Klassenlager teilnehme und Ausnahmeregelungen verlange. Freytag spricht von einer permanenten Verweigerungshaltung gegenüber der Schule. Letztlich sei auch das Kopftuch ein Ausdruck jener Verweigerungshaltung. Daraus leitet Freytag ab, dass die Familie selbst intolerant sei. Dass in ihrer Auslegung, zumal im Islam die Frau keine Alternative zur Unterwerfung unter den Mann habe, das Kopftuch als Ausdruck von Selbstbestimmung dargestellt werde, sei äusserst fragwürdig.

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